Zeitbrücke
Generationskontakte
Geschichtseinblicke
Freundschaften
Stefan Stoev
Buchauszug:
Kurzfassung - Online-Version
Inhaltsverzeichnis
I. Aller Anfang ist schwer oder Anlaufschwierigkeiten mit Happyend
II. Eine 360° Drehung durch das Museum
III. Die Gedenkdiener haben viele Freunde
IV. Was der Mensch von sich kennt, ist sein Spiegelbild
V. Reise in dir Vergangenheit - Rückblicke
Christoph Meran[1]
In meinen sieben Jahren als
Mitarbeiter der österreichischen Botschaft in Washington D.C. hatte ich die
Gelegenheit, fünf aufeinander folgende Gedenkdiener kennenzulernen, die ihren
Dienst am US Holocaust Memorial Museum versehen haben. An meinen Begegnungen mit ihnen hat sich
gezeigt, dass der persönliche Kontakt mit Zeitzeugen und Überlebenden der Shoa,
das Kennenlernen ihrer persönlichen Schicksale die viel einschneidendere
Erfahrung war, als es eine rein theoretische Beschäftigung mit dem Dokumentationsmaterial
des Holocaust je sein kann. Der letztes Jahr verstorbene große Historiker
Gordon Alexander Craig hat genau das gemeint, als er immer wieder sagte, man
müsse geschichtliche Ereignisse anhand von Persönlichkeiten verstehen und nicht
die Umstände allein, sondern viel mehr die Akteure in den Vordergrund stellen.
Neben der seit den achtziger
Jahren des letzten Jahrhunderts verbindlichen Holocausterziehung an Österreichs
Schulen ist der Gedenkdienst an Holocauststätten daher wesentlich. Er schärft
die Sensibilität für jede Form von Diskriminierung und Ausgrenzung und ermutigt
zum Widerstand gegen gefährliche politische Strömungen. Jeder Gedenkdiener, gleichgültig ob er in
Washington, New York, Los Angeles oder Richmond seinen Dienst versehen hat,
wird im Angesicht menschlicher Ungerechtigkeit
eine mahnende Stimme in sich spüren und das Andenken an diesen oder
jenen Menschen revue passieren lassen können, den er an einer der Gedenkstätten
kennen gelernt hat. Das 21. Jahrhundert wird noch genügend Herausforderungen an
uns stellen, an denen wir unseren Gerechtigkeitssinn testen werden können.
Ich möchte in diesem
Zusammenhang eine persönliche Erfahrung erzählen, die mich stark geprägt hat.
Ich hatte einen Freund, ein gebürtiger Wiener, der als Mitglied einer
Spezialeinheit der britischen Truppen am D-Day hinter den feindlichen Linien in
Frankreich per Fallschirm und mit einem Fahrrad abgeworfen wurde. Er und seine
jüdischen Mitstreiter waren dem Holocaust entkommen und hatten es sich zur
Lebensaufgabe gemacht, Hitler zu besiegen. Sie hatten sich in England, mit
neuen Identitäten ausgestattet, zu Spezialeinheiten ausbilden lassen, die für lebensgefährliche
Einsätze vorgesehen waren. Ein Drittel der ungefähr 85 Mitglieder dieses
Spezialtrupps überlebte den Einsatz am D-Day in Frankreich nicht.
Mein Freund zeichnete sich durch
großen Optimismus und ungebrochene Lebensfreude aus, trotz schlechten Herzens
und 83 Jahren. Ich fragte ihn, wie es ihm gelungen sei, im Angesicht der
Erniedrigungen und Verluste, die seine Familie im Holocaust hinnehmen musste,
eine so positive Haltung und Lebenseinstellung zu bewahren. Er sagte: “Aus zwei
Gründen: Weil ich das getan hatte, was meine innere Stimme mir gebot. Und weil
ich es mir zur Lebensmaxime gemacht habe, heiter auch im Angesicht der größten
Not zu bleiben.”
Diese Sätze haben sich mir
eingeprägt und ich hoffe, dass alle Gedenkdiener, die aufgrund ihres
freiwilligen Einsatzes an Holocaust Gedenkstätten in die dunkelsten Winkel der menschlichen
Grausamkeit geblickt haben - oder dies noch vor sich haben - ihre Erfahrungen
im Sinne dieser Äußerungen nützen werden und dabei ihre Heiterkeit nicht
verlieren.
Im Mittelpunkt dieses Buches ist
die zwischenmenschliche Beziehung gestellt. Das Buch bildet eine Kommunikationsplattform
zwischen den Generationen von Vertriebenen und der dritten
Nachweltkriegsgeneration. Für manche Zeitzeugen ist der Kontakt mit den
Gedenkdienstleistenden die erste Kontaktaufnahme zu deren Heimat. Für
Jugendliche ist dieser Kontakt eine wertvolle Erfahrung und Einblick in
geschichtliche Ereignisse. Diese Berührung führt zu vielen interessanten
gegenseitigen Eindrücken von denen manche Eingang in diesem Buch gefunden
haben.
Seit 1993 sind österreichische
Gedenkdienstleistende durchgehend in Washington vertreten[2]. Während dieser Zeit wurden zahlreiche Freundschaften und traditionelle
Beziehungen zu österreichischen Emigranten und Zeitzeugen in der Umgebung
Washingtons geschlossen. Seit dem ersten Einsatz eines Gedenkdieners hier in
Washington ist der Aufgabenbereich am United
States Holocaust Memorial Museum um eine Reihe von Tätigkeiten gewachsen.
Die verantwortungsvolle Forschungsarbeit in der Historikerabteilung bzw. im
Archiv ist ein sehr gutes Beispiel dafür. Die persönliche Freundschaft zu den
hier lebenden Österreichern ist eine soziale Tätigkeit, die mittlerweile von
vielen Menschen hoch anerkannt und geschätzt wird.
Ich möchte mich bei allen Bedanken, die an diesem Buch
mitgeschrieben und mitgearbeitet haben.
Bedanken möchte ich mich insbesondre bei den
österreichischen Zeitzeugen, die mich in ihren Freundeskreis aufgenommen haben
und mir Zugang zu ihren Lebensgeschichten gaben. Meinen aufrichtigen Dank
möchte ich an Susanna und Felix Yokel aussprechen, die mich wie ein
Familienmitglied behandelten und mit denen ich viele schöne Feste feiern
durfte, unter anderem Pesach[3].
Danke an Marie und Kurt Heinrich für die interessanten Gespräche und für die
gemeinsamen Kunststunden. Danke an Regina Espenshade und Gene Hix, ohne deren
Freundschaft und Unterstützung ich mir in Washington in mancher Hinsicht
verloren vorgekommen wäre. Danke an George Czuczka, der mich zum Schreiben
motiviert, und immer wieder ermutigt hat, dieses Buch fertig zustellen.
Danke am meine Kollegen im Museum. Ich habe von meinem
Vorgesetzten Peter Black sehr viel gelernt, er hat immer für die
Angelegenheiten des Gedenkdienstes und für mich persönlich Zeit gefunden und
mich in jeglicher Hinsicht unterstützt. Danke an meine Kollegen und Freunde
Patricia Heberer, Severin Hochberg, Theresa Dowell, Vadim Altskan, Steven F.
Sage, Michael Gelb, Jürgen Matthäus, Bruce Tapper, Flora Singer und Gerald
Schwab.
Nicht zuletzt möchte ich mich bei
der Initiative Gedenkdienst herzlichst bedanken, durch die ich die Möglichkeit
hatte, diese wertvolle Erfahrung zu machen. Je mehr ich mich in meine Tätigkeit
eingelebt habe, desto mehr lernte ich diese zu schätzen. Der Gedenkdienst gab
mir die einzigartige Gelegenheit, mich aus dem alltäglichen Leben herauszudenken
und meinen Blick auf etwas zu richten, worauf ich heute stolz sein kann. Ich
habe Eindrücke und Erfahrungen gesammelt, die meine Wertvorstellungen verändert
haben und meinen weiteren Weg bestimmt wesentlich prägen werden.
Die Bedeutung der Vergangenheit für die Zukunft liegt im
Erkennen von Zusammenhängen
Gregor Ribarov[4]
GEDENKDIENST ist eine politisch unabhängige Organisation,
die sich mit den Ursachen und Folgen von Faschismus, Nationalsozialismus und
Holocaust auseinandersetzt. Unser Augenmerk gilt insbesondere der Rolle von
ÖsterreicherInnen als Täter, Mitläufer und Zuschauer. Zugleich richten wir
unseren Blick auf die oft vergessenen Geschichten jener ÖsterreicherInnen, die
vom NS-Regime verfolgt, vertrieben, ermordet wurden.
Zwar mag in den letzten Jahren verstärkt eine
öffentlich-politische Auseinandersetzung damit stattgefunden haben, so kratzt
sie doch nur an der Oberfläche dieses „Meeres an Geschichten“[5].
Mit medienwirksamen Inszenierungen scheint es zwar möglich einen Großteil der
Bevölkerung zu erreichen, jedoch muss klar sein, dass man größeren Zusammenhängen
einer- und persönlichen Schicksalen andererseits nicht gebührend gerecht werden
kann. Gerade das Gedankenjahr 2005 hat gezeigt, wie einfach es ist, in
unreflektierte Bauchpinselei zu verfallen anstatt einen produktiv-kritischen
Diskurs zu führen.
Dass es keinen Bedarf an einer solchen aktiven
Erinnerungspolitik gäbe, kann als Ausrede nicht herhalten. Seit 1992 haben an
die zweihundert Mitglieder unseres Vereins, unter durchaus widrigen Bedingungen
an zahlreichen Einrichtungen, die auf die eine oder andere Art Ursachen und
Wirkungen des Holocaust thematisieren, in 13 Ländern einen Gedenkdienst
geleistet. Zahlreiche junge Interessenten zeigen weiterhin, dass es Ihnen
wichtig ist sich für einen verantwortungsvollen Umgang mit der
nationalsozialistischen Vergangenheit auseinanderzusetzen und in der Konsequenz
für die Gegenwart gegen Antisemitismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit
aufzutreten.
Aktives Erinnern ist allerdings, um nicht in Illusionen
zu verfallen, keine leichte Angelegenheit sondern ein Prozess, der hohe
Anforderungen an jene stellt, die sich entschließen das bereits proklamierte
Meer an Geschichten befahren zu wollen. Persönliche Schicksale und
Lebensgeschichten werden wie ein Mosaik aus unzähligen Details geformt und sind
derart vielschichtig, dass sie sich einer Bewertung oder Klassifizierung
weitestgehend entziehen[6]. Sich mit ihnen zu beschäftigen braucht vor
allem Zeit und einen entsprechenden Rahmen. Nur so ist auch das Erkennen von
größeren historischen und gesellschaftspolitischen Zusammenhängen möglich, die
einmal gewonnen, auch in der Gegenwart Orientierung geben können. Um die
Bereitstellung dieses Rahmens bemüht sich GEDENKDIENST nun seit über 10 Jahren
erfolgreich. Vor allem das positive Feedback der zahlreichen Überlebenden die
mit Gedenkdienstleistenden an den verschiedenen Einsatzstellen in Kontakt
treten bestätigen unsere Arbeit. Für viele ist es eines der wenigen späten
Zeichen von Anerkennung und nicht zuletzt auch eines Gesinnungswandels, dass
sich junge Österreicher der dritten und vierten Generation mit ihrer Geschichte
und der Täterrolle Österreichs beschäftigen.
Eine derart profunde und eingehende Auseinandersetzung
mit der Vergangenheit wirkt sich auch auf die Gegenwart aus. So sind viele
ehemalige Gedenkdienstleistende ehrenamtlich oder sogar beruflich in zahlreiche
zeitgeschichtliche Projekte involviert, so auch im Verein. GEDENKDIENST bietet
allen Interessierten eine Plattform für inhaltliche Diskurse, u.a. durch die
Veranstaltung von Tagungen und Studienfahrten sowie die Vortragsreihe
„Ge-Denken“, aber auch einer vierteljährlich erscheinenden Zeitschrift. Dabei
stehen durchaus auch brisante aktuelle Themen im Mittelpunkt, wie
beispielsweise zuletzt die Situation der slowenischen Minderheit in Kärnten[7]. Damit wollen wir einen Beitrag zu einer
kritischen Gesellschaft leisten, die die Idee des „Lernens aus der Geschichte“
noch nicht aufgegeben hat, sondern mit tatsächlichem Engagement untermauert.
Eine Form dieses Engagements halten sie soeben in ihren
Händen. Stefan Stoev hat mit dieser Publikation sein Ziel verwirklicht,
interessierten Außenstehenden einen authentischen Einblick in die Arbeit der
Gedenkdienstleistenden zu geben. Gleichzeitig ist es auch eine Einladung
geworden sich auf eine Fahrt durch das Meer der Geschichten zu begeben und die
hoffentlich von möglichst vielen LeserInnen angenommen wird.
I. Aller Anfang ist schwer oder
Anlaufschwierigkeiten mit Happyend
Die Vorbereitungen für meinen Aufenthalt und
Arbeitseinsatz in Washington waren alles andere als einfach. Ich war nicht nur
Tag und Nacht damit beschäftigt, meine Wohnung in Wien aufzulösen und meine,
sich über die Jahre zusammengestauten Sachen bei Freunden und Verwandten
unterzubringen; nein, ich erfuhr am US-Konsulat auch völlig unerwartet, dass
mein Antrag auf ein Visum abgelehnt worden war. Das traf mich wirklich wie ein
Blitz aus heiterem Himmel. Warum plötzlich abgelehnt? Eine Kooperation die über
so viele Jahre reibungslos verlaufen war, stieß gerade jetzt auf eine
bürokratische Hürde. Ich stand da wie im Regen ohne Schirm, alles andere hatte
ich schon hinter mich gebracht: meinen Job gekündigt, meine Wohnung aufgelöst,
in Washington eine Wohnung angemietet, mein Flugticket gekauft, und jetzt...
Jetzt stand ich da, vor einem Dilemma und der alles entscheidenden Frage, wie
es denn nun weitergehen soll.
Die Nerven, die ich bei der Klärung der Angelegenheit in
den folgenden Tagen verlor, und die grauen Haare, die mir daraus wuchsen, sind
zwar nicht mehr zu ersetzen, doch Ende gut, alles gut. Durch den großen
persönlichen Einsatz und die sehr aktive Unterstützung seitens des
GEDENKDIENSTES und des Museums in Washington, denen ich zu größtem Dank
verpflichtet bin, erhielt ich dann letzten Endes doch ein Visum. Mein Kollege
Dominik Aschauer, der seinen Dienst im Leo Baeck Institut in New York
ableisten sollte, hatte weniger Glück, bekam dann jedoch die Möglichkeit, im Jewish
Cultural Center in London seinen Dienst abzuleisten.
Durch all den organisatorischen Stress fiel das
Abschiednehmen eher kurz aus. Meine Eltern gaben mir noch ein paar
unerlässliche Ratschläge mit auf den Weg und meine Freunde versprachen mir zu
schreiben. Jetzt aber los, Amerika, ich komme!
***
Die Anreise und der erste Eindruck
Ich konnte es kaum erwarten, meinen Dienst anzutreten. So
legte ich meine Anreise auf den 22. Juni fest, also auf gute dreieinhalb Wochen
vor meinem offiziellen Dienstantritt. Dadurch hatte ich genügend Zeit, um
Organisatorisches zu erledigen.
Als ich am Washington Dulles International Airport (IAD)
ankam, regnete es in Strömen. Ich nahm den Blue
Van- Shuttlebus, der mich direkt zu
der Adresse brachte, wo ich die nächsten vierzehn bzw. fünfzehn Monate
verweilen sollte. Die Fahrt dauerte lang, und durch den starken Regen konnte
man vom Bus aus nichts von der Stadt erkennen, um erste Eindrücke zu sammeln.
Es war später Nachmittag, ich war vom langen Flug sehr müde, meine Augen waren
von der künstlichen Belüftung im Flugzeug völlig trocken und rot, und ich hatte
das Gefühl, Sand in den Augen zu haben. Und doch war ich durch die Aufregung
voller Energie. Nach fast zwei Stunden endlos erscheinender Fahrt teilte mir
der Fahrer mit, dass wir angekommen wären. Ich schnappte meine Koffer, die kaum
zu tragen und vollgestopft mit allen möglichen Sachen waren. Es waren jede
Menge Dinge in diesen Koffern, die ich glaubte, für meinen einjährigen Aufenthalt
in den Vereinigten Staaten zu brauchen. Da stand ich nun, auf einer schönen
grünen Strasse, vor einem dreistöckigen Haus im viktorianischen Stil. Meine
Freunde, die für mich die Wohnung organisiert hatten und im ersten Stock
desselben Hauses wohnten, empfingen mich sehr herzlich. Sie gaben mir den
Schlüssel für meine neue Wohnung und ich ging in das dritte und oberste
Stockwerk hinauf. Als ich die Tür öffnete, fühlte ich mich in die Anfänge
meiner Studienzeit zurückversetzt:
Die Wohnung glich einem kleinen Hotelzimmer, war mit
einer winzigen Küche und einem Abstellraum ausgestattet, und bestand aus einem
Badezimmer mit verrosteten Rohren und kaputter Toilette. Ich habe zwar viel
investieren und renovieren müssen, um das Appartement angenehm sauber - ja
sogar einigermaßen gemütlich - zu machen, doch das war wohl der Mindestaufwand,
den ich betreiben musste, um mich in einer guten Wohngegend niederzulassen.
Mit der Zeit wurde mir auch eindeutig bewusst, in welch
hervorragender Lage sich die Wohnung befand. Die kleine Wohnung an der Ecke
Corcoran und 15. Strasse war nur ein paar Minuten vom berühmten Dupont Circle entfernt und lag ganz in
der Nahe vom historischen Stadtteil Georgetown;
das Weiße Haus war nur einige Blocks die Straße runter und das USHMM[8]
konnte man zu Fuß in weniger als einer halben Stunde erreichen.
Wie erwähnt, hatte ich mit der Wohnung großes Glück, denn
es ist in Washington DC nicht nur schwierig, eine gute und zugleich günstige
Wohnung zu finden, es ist außerdem auch sehr herausfordernd, den unzähligen
Anforderungen nachzukommen, die man erfüllen muss, um überhaupt eine Wohnung
mieten zu dürfen. Im Prinzip braucht man für alles, was meldepflichtig ist, wie
z. B. die Wohnung, das Konto und das Telefon, eine Sozialversicherungsnummer,
auf die wir mit unserem Status als österreichische Gedenkdiener nun mal keinen
Anspruch haben. Dazu kommen noch Begriffe wie Bonitätshistorie, Miethistorie
und, und, und...; Dinge, die nur Kopfschmerzen bereiten, denn jemand mit
befristeter Aufenthaltsgenehmigung kann dies alles nicht aufweisen. Die
Wohnungssuche ist für die Gedenkdiener stets ein Abenteuer mit offenem Ausgang,
und die steigenden Mietpreise machen dieses Abenteuer noch spannender.
II. Eine 360° Drehung
durch das Museum
Schmetterlinge im Bauch zum Dienstantritt
Als ich mich auf dem Weg zum Museum machte, um mich
meinen zukünftigen Kollegen vorzustellen, war ich sehr aufgeregt. Am
Touristeneingang des beeindruckenden Gebäudes auf der 14. Strasse fand ich mich
vor einer riesigen Schlange von Besuchern wieder. Es war heiß wie in der Wüste
und schwül wie im Regenwald, mir wurde durch die Aufregung und das lange,
angespannte
Warten leicht schwindlig. Die Kontrollen, die man beim
Betreten des Museumskomplexes durchlaufen muss, erinnern an die
Sicherheitskontrollen auf einem Flughafen. Die Größe des Museums hat meine
Vorstellungen mehrfach übertroffen. Ich ging zum Aufzug, um ins fünfte
Obergeschoss zur wissenschaftlichen Forschungsabteilung hinaufzufahren.
Christoph holte mich vor dem Aufzug ab und führte mich in die Abteilung. Dort
stellte er mich meinen Vorgesetzten und Kollegen Peter, Patricia, Severin und
Anna vor. Anna war damals als freiwillige Assistentin in der
Historikerabteilung tätig. Ich wurde von allen so warm und herzlich empfangen,
dass mein Lampenfieber rasch verging. Peter nahm sich sofort die Zeit, um mich
in die Organisation der Abteilung und meine Tätigkeit einzuführen. Er stellte
mich auch den anderen Kollegen vor. Mein Arbeitsplatz war ein klassisches
Cubicle, ausgestattet mit einem Schreibtisch, einem Computer und einer
Schublade, wie man es aus den amerikanischen Filmen kennt.
Einmal bat ich Peter um ein kurzes Gespräch, um über die
Zusammenarbeit mit dem Gedenkdienst und über seine persönliche Erfahrung mit
den Gedenkdienern zu sprechen.
Gespräch mit Dr.
Peter Black, Senior Historian
Direktor der historischen Forschungsabteilung am
United States Holocaust Memorial Museum in Washington
Im April 1993 öffnete das Holocaust-Museum in Washington
erstmals seine Türen. Noch im selben Jahr begann die Kooperation mit dem
Gedenkdienst, und gleich darauf trat der erste Gedenkdiener Anton Legerer
seinen offiziellen Zivilersatzdienst in Washington an.
Heute, zwölf Jahre später, bin ich der elfte
Gedenkdiener, der - wie alle seine Vorgänger - in der historischen Forschungsabteilung
unter der Leitung von Dr. Peter Black arbeitet. Dr. Black ist seit 1997 für die
Gedenkdiener im Museum verantwortlich. In einem gemeinsamen Gespräch erzählt er
von seinen Erfahrungen und Freundschaften mit den Gedenkdienern:
„Ich habe als ersten Gedenkdiener Helmut Prochart kurz
vor seiner Heimfahrt kennengelernt“, erinnert er sich. „Damals war unsere
Abteilung noch sehr klein. Es gab noch keine internationalen Forschungsprojekte
und auch nur wenige Angestellte in unserem Bereich. Das Zentrum für höhere
Holocaustforschung (Center for Advanced
Holocaust Studies) war noch nicht eingerichtet, und wir waren eine
Mannschaft von wenigen Leuten. Der Gedenkdiener war deshalb ein wichtiges
Teammitglied, sowohl bei wissenschaftlichen als auch bei administrativen und
organisatorischen Arbeiten. Als Thomas Huber, im April 1998, seine Tätigkeit
bei uns aufnahm, hatte er die gleichen Kernaufgaben, die für seine Nachfolger
bis heute unverändert geblieben sind:
Er hat sich am Museum mit der Beantwortung von Anfragen
und mit Forschungsaufgaben befasst. Daneben führte er die Besucher und
Delegationen, die von der österreichischen Botschaft vermittelt wurden, durch
die Ausstellungen. Darüber hinaus pflegte und intensivierte er die sozialen
Kontakte zu österreichischen Zeitzeugen, die in die Vereinigten Staaten
emigrierten und heute in der Umgebung Washingtons leben. Ein bedeutendes
Projekt, bei dem er uns beispielsweise unterstützt hat, war die Verfassung der
Bibliographie des Jüdischen Widerstandes. Thomas war der erste
Gedenkdienstleistende, den ich während seines Dienstes von Beginn an betreute.
Sein Nachfolger ab Mitte Juli 1999 war Roman Kopetzky. Er entwickelte sich zu
unserer internen Computerfachkraft, denn er hatte zwar keine historischen
Vorkenntnisse, war jedoch ein Experte im
EDV-Bereich, wo er dann auch verstärkt zum Einsatz kam. Im Herbst 2000
kam dann Harald Schindler, der von Beruf Meteorologe war. Da ich damals keine
administrative Unterstützung hatte, übernahm er diese Aufgabe und kam
hervorragend damit zurecht. Als sein Dienst am 14. September 2001 endete,
verzögerte sich seine Heimreise auf Grund des 11. Septembers. Sein Nachfolger
war Roland Engel, der sich stark für die Angelegenheiten der Zeitzeugen
engagierte. Der Schwerpunkt seiner Ausbildung lag im Personalwesen. Aus diesem
Grund konnte er sehr gut mit anderen Menschen umgehen. Die Idee, seine
Qualitäten gezielt einzusetzen, gab uns dann den Anstoß, die Gedenkdiener
künftig auch in die Arbeit anderer Abteilungen zu involvieren. Auf Roland
folgte Paul Schiefer, von Beruf Journalist. Durch seinen Beruf war er sehr gut
organisiert und brachte den Fokus des Gedenkdienstes wieder zurück auf die
Arbeit an der historischen Forschungsabteilung. Nach ihm kam dann dein Vorgänger
Christoph Köttl. Er hatte ja Geschichte studiert und war in unserem Umfeld zu
Hause. Er zeigte Begeisterung für die Militärgeschichte und leistete einen
großen Beitrag bei der Forschung zum Thema KZ-Befreiung durch
US-Militäreinheiten.
Deine eindeutige Stärke, Stefan, sind deine
Sprachkenntnisse. Aus diesem Grund wurdest du auch in die Arbeit der
Archivabteilung so intensiv eingebunden, wodurch du das Profil des Gedenkdieners
um eine weitere Kompetenz erweitert hast.“
Im Laufe unseres Gesprächs musste ich daran denken, wie
ich vor einem Jahr meinen Dienst antrat. Ich musste auch an die
Vorbereitungszeit zurückdenken. Damals haben wir in einer großen Gruppe
Studienreisen nach Theresienstadt und Auschwitz unternommen und zahlreiche
Gespräche mit Zeitzeugen geführt. Mein Nachfolger trifft bald ein, um hier in
Washington meine Aufgaben zu übernehmen und fortzusetzen. Die Zeit ist schnell
vergangen, doch die Erinnerung bleibt für das ganze Leben. Ich habe eingesehen,
dass die Geschichte ein sehr dynamisches Thema ist, dessen Verständnis von der
jeweiligen Generation abhängt. Deshalb empfinde ich es als wichtig, uns mit der
Vergangenheit auseinanderzusetzen, um diese besser zu verstehen und aus ihr für
die Zukunft zu lernen.
Zum Abschluss unseres Gesprächs fügte Peter noch hinzu:
„Ich begrüße die positive Alternative zum Militärdienst
durch die Ableistung eines Gedenkdienstes an einer Holocaustgedenkstätte.
Deshalb bemühen wir uns auch bei den Aufgabenstellungen an die Gedenkdiener um
eine gewisse Flexibilität, damit das Anforderungsprofil an die persönlichen
Qualifikationen angepasst werden kann und keine Barriere für die Kandidaten
darstellt. Wir begrüßen die Zusammenarbeit sehr und freuen uns auch weiterhin
auf eine gute Kooperation.“
Das Holocaust-Museum wurde am 26. April 1993 eröffnet.
Der erste offizielle Besucher war der Dalai Lama. Heute[9]
zählt das Museum über 22 Mio. Besucher aus aller Welt, darunter 7,5 Mio. Kinder
und 2700 offizielle Delegierte aus 130 Ländern. Als ich das riesige Gebäude das
erste Mal betrat und die Sicherheitskontrolle passierte, richtete sich mein
Blick auf die vielen Fahnen der Befreiungsarmeen, die wie Soldaten in einer Reihe vor mir standen. Ich machte ein
paar unsichere Schritte, umfangen von einem Gefühl der Desorientierung. Die
massiven Stahlsäulen und protzigen Steinmauern übten eine besondere Kälte auf
mich aus. Der Architekt James Ingo Freed wollte eine architektonische Beziehung
zwischen dem Gebäude und den sich darin befindenden Ausstellungen schaffen. Im
Jahr 1980 gab der Amerikanische Kongress dem USHMM den offiziellen Status einer permanenten Gedenkstätte für die
Opfer des Holocausts. Der Auftrag zur Errichtung des Museums - das zunächst als
Denkmal vorgesehen war - wurde von Präsident Jimmy Carter gegeben.
Das USHMM befindet sich zwischen der 14. und
15. Strasse in der Nähe der Independence
Avenue und ist von beiden Seiten zugänglich. Das Museum besteht aus zwei
miteinander verbundenen Gebäuden. Aus der Vogelperspektive betrachtet, erinnern
die spitzen Türme, die in zwei Viererreihen errichtet worden sind, an die
Wachtürme eines KZ. Auf der Westseite am Eisenhower-Platz befindet sich das
sechseckige Annexgebäude, dessen Dach die Form einer Pyramide hat. Darin
befindet sich die Hall of Remembrance,
das amerikanische Nationaldenkmal für die Holocaustopfer:
Im Inneren des
Raumes sind auf Granitwänden die Namen der Konzentrations- und Vernichtungslager
nachzulesen. Kerzenlichter erhellen den Raum von allen Seiten. Säulen aus
Kalkstein bilden einen engeren Kreis um den Raum, in dessen Zentrum die ewige
Gedenkflamme brennt. In die Kalkwände sind verschiedene Epitaphen eingemeißelt.
Die Gedenkstätte ist von einer sechseckigen Glaspyramide in Form eines
Wintersterns überdacht, durch die der Raum mit Sonnenlicht erfüllt wird.
In der Hall of
Remembrance finden regelmäßig Feierlichkeiten und Ansprachen von
bedeutenden Politikern aus aller Welt statt. Im Laufe meiner Dienstzeit durfte
ich den Besuchen der Staatspräsidenten von Rumänien, Traian Basescu, und der Ukraine, Viktor
Juschtschenko, beiwohnen.
Wenn man das Museum durch einen der beiden Eingänge
betritt, befindet sich der Besucher zunächst in der Hall of Witness. Als erster Anlaufpunkt dient der Information
Desk, an dem Auskünfte über die
einzelnen Ausstellungen und das Umfeld des Museums gegeben werden:
Jeden Donnerstag hilft unsere Historikerabteilung am
Informationsstand in der Hall of Witness aus. Mir bereitet
diese Tätigkeit besondere Freude, denn dabei habe ich die Möglichkeit, mit
Zeitzeugen, die als Freiwillige den Visitor Service-Bereich
unterstützen, zusammenzuarbeiten. Hierbei lernt man Menschen aus aller Welt und
aus den verschiedensten Kulturen kennen und wird dabei auch mit den
eigenartigsten Fragen konfrontiert, auf die man zu Antworten wissen muss. Ich
betrachte diese zwischenmenschliche Interaktion als eine große Bereicherung.
Auf derselben Ebene ist die Kinderausstellung Daniel’s Story: Diese
versetzt die Besucher in die Rolle des achtjährigen Daniels, der
gemeinsam mit seiner Familie die Härte und die Gräuel eines Arbeits- bzw.
Konzentrationslagers erfährt, und aus seinem Tagebuch von den Ereignisse aus
dieser Zeit berichtet.
Wenn sich der Besucher von der Hauptebene ins
Untergeschoss des Museums begibt, kommt er zu den temporären Ausstellungen. Zur
Zeit hat er dort die Möglichkeit, die Ausstellung Deadly Medicine zu besichtigen:
Darin wird das Thema Rassenpolitik mit Hilfe von Eugenik
behandelt. Getrieben durch ihre rassistische Ideologie, wurde von deutschen
Wissenschaftlern die Überlegenheit der Deutschen Rasse propagiert. Um das nationale Interesse zu wecken,
bezeichneten Sie die Thematik der Bedrohung durch andere Rassen als eine Gefahr
für die "Gesundheit" der Nation. Auf diesen Theorien baute die
nazi-deutsche Regierung ihre politischen Maßnahmen auf. Teile des vorgeführten
Filmmaterials erinnerten mich sehr stark an Kurt Gerons[10] Propagandafilm „Der Führer
schenkt den Juden eine Stadt“.
***
Beitrag von Bruce Tapper, Senior
Editor an der Publikationsabteilung
am USHMM
Ich lernte Stefan zum ersten Mal kennen, als ich an dem
Übersetzungsprojekt für den Museumsführer arbeitete. Dabei ging es darum, die englischsprachige
Informationsbroschüre in neun weitere Sprachen zu übersetzen. Als Redakteur an
der Publikationsabteilung des Museums nahm ich die Vorversion des deutschen
Textes, die bei einer auswärtigen Übersetzungsagentur in Auftrag gegeben worden
war, mit zur Einsicht. Unser Abteilungsleiter
hatte daran einige Änderungen vorgeschlagen.
Dies war das erste Mal, dass eine Museumspublikation auf Deutsch
herausgegeben wurde, und aus diesem Grund wollten wir auch jegliche Fehler
vermeiden. Mir ging es darum, in allen Übersetzungen einheitliche Information
zu vermitteln.
Stefan war gerade in Washington angekommen und wurde von seinem
Vorgänger Christoph Köttl in seinen Tätigkeitsbereich eingeführt. Ich hielt es
für eine gute Idee, zunächst von deutschen Muttersprachlern eine Meinung zur
Übersetzung einzuholen.
Die Broschüre beschreibt die Aufgaben des Museums und gibt einen
Überblick über dessen einzelne Ausstellungen und Einrichtungen. Beim Einblick
in das englische Original schlugen Stefan und Christoph gemeinsam Änderungen an
der deutschen Version vor. Später, nachdem diese Änderungen durchgeführt worden
waren, überprüfte Stefan noch einmal die Wortstellung und bemerkte weitere
grammatikalische Fehler.
Am Ende wurde das Dokument vom Abteilungsleiter genehmigt und der
gedruckte Prospekt wurde bei unseren deutschsprachigen Besuchern sehr beliebt.
Nach dieser ersten Bekanntmachung und meinem ersten gemeinsamen
Projekt mit Stefan schlossen wir Freundschaft und entdeckten gleichzeitig, dass
wir viele gemeinsame Interessen hatten, wie beispielsweise die Kunst, das
Reisen und die Leidenschaft über verschiedene Kulturen zu lernen.
Neben meinem Abschluss als Journalist habe ich auch ein Doktorat
in sozialer Anthropologie, mit dem
Schwerpunkt Süd-Asien. Darüber hinaus habe ich in zahlreichen fremden
Ländern gelebt. Ich komme an jedem Freitag ins CAHS[11]
zu einem informellen Yiddish-Studienkreis, und schaffte es, auch Stefans
Interesse dafür zu wecken. Er nahm auch an einigen unserer Seminare, in denen
wir holocaustbezogene Artikel lesen und übersetzen, teil.
Das Alphabet stellt sicherlich eine Herausforderung da, doch das
Vokabular ist dem Deutschen sehr ähnlich. Stefan nahm sogar seinen Nachfolger
Christian Url mit, der sich auch einigen unserer informellen Sitzungen
anschloss.
Stefans Dienstzeit am USHMM ist
sehr rasch vergangen, und nun kehrt er wieder zurück in seine Heimat
Österreich. Ich weiß bereits heute, dass ich unsere Mittagsdiskussionen
vermissen werde. Doch ich weiß auch, dass ich jetzt einen guten Freund in Wien
habe.
***
Einblick in die
Archivarbeit und Zusammenarbeit
Durch die
Übersetzungstätigkeit habe ich an zahlreichen Dokumenten aus dem Museumsarchiv
gearbeitet, die von der internationalen Archivabteilung (International Archival Programs Division - IAPD) zur
Verfügung gestellt wurden. Die Aufgabe der IAPD
ist es, die Beweismaterialien aus der Zeit des Holocaust zu aquirieren. Diese
Materialen dienen der Holocaustforschung am Forschungszentrum des Museums - CAHS. Das Zentrum betreibt eine Reihe von Aquisitionsprogrammen,
kooperiert mit über 50 Ländern weltweit und ergänzt dadurch den Archivbestand
des Museums jährlich um zwei Millionen Seiten. Als Ergebnis dieser Programme
entwickelte sich das Museum rasch zur weltgrößten und meist konsultierten
Quelle für Holocaustdokumentation.
Über die Zusammenarbeit mit
der IAPD lernte ich meine beiden Freunde Anatol und Vadim kennen:
***
Bratushka Stefan
Beitrag von Vadim Altskan[12],
über unsere Gespräche und die entstandene Freundschaft
Ich lernte Stefan im September
2004 kennen, ein paar Monate nachdem er seinen Dienst als
Gedenkdienstleistender im Museum begonnen hatte. Es war uns vorausbestimmt gute
Freunde zu werden, einerseits wegen unserer verwandten Herkunft (Bulgarischer
und Russischer), aber vielmehr auf Grund unserer gemeinsamen Interessen in
Geschichte, Kunst, Musik, Politik und Reisen.
Im Museum beriet sich Stefan
mit mir, wenn er an Russischen Dokumenten aus dem Archiv arbeitete, doch unsere
Unterhaltungen erstreckten sich auch außerhalb der Arbeitszeiten. Wir haben
Picknicks in den Dumbarton Oaks Gärten unternommen, wo Stefan gemeinsam mit
meinem Sohn malte. Wir haben uns über verschiedene Kulturen unterhalten und uns
Gedanken darüber gemacht, wie die Welt zu verbessern wäre. Ich besichtigte
seine Bilderausstellung, an der St. Thomas Kirche, die er gemeinsam mit einem
österreichischen Überlebenden organisiert hatte. Ja, Stefans Dienstzeit hat
viele Erinnerungen zurückgelassen und wir werden ihn hier sehr vermissen. Doch
ich habe ihm versprochen, dass wir uns wieder sehen werden und dieses
Versprechen werde ich einhalten.
***
Anatol Steck ist gebürtiger
Wiener und seit 1988 in Washington. Er hat an der Catholic University
studiert, wo er 1995 ein B.A. in General Studies machte
und danach einen Masters in Library and Information
Science belegte.
„Während meines Studiums war
ich vollzeitig als Archivar an der Charles
Sumner School Museum and Archives
- einem historischen Kulturzentrum, Museum und Archiv - in Washington
beschäftigt”, erzählt Anatol über sein Leben und seine Arbeit.
„Ich wollte schon seit der
Eröffnung 1993 für das United States Holocaust Memorial Museum
arbeiten. Ich hatte das Glück, dass ich
1999 - kurz vor Abschluss meines Studiums - in der Bibliothek des Museums
eingesetzt wurde. Diese zwei Jahre waren eine sehr lehrreiche Zeit.“
2001 wechselte Anatol in die
internationale Archivabteilung. Dort ist er für die archivarischen
Akquisitions- und Reproduktionsprojekte in Zusammenhang mit der Geschichte
Österreichs, Israels und der Tschechischen Republik zuständig.
„Ein besonders nennenswertes, aktuelles Projekt - auch was den
Gedenkdienst betrifft - ist die Erfassung und Mikroverfilmung des
Archivmaterials der Israelitischen Kultusgemeinde Wien (IKG Wien) in unser
Archiv. Dieses Projekt wird in Zusammenarbeit mit der jüdischen Gemeinde in
Wien und den Central Archives for the History of the Jewish People in Jerusalem durchgeführt.”
Die holocaustrelevanten Bestände des Archivs der Israelitischen Kultusgemeinde Wien bestehen aus zwei Archivkomponenten:
Die erste Archivkomponente, die zirka 400.000 Seiten umfasst,
wurde im Januar 2001 von einer Wohnung im 15. Wiener Gemeindebezirk in die
Anlaufstelle es Internationalen Steering Committees, dem Komitee für jüdische NS-Verfolgte in und aus
Österreich, überstellt. Dieses Archivmaterial, das durch die jahrzehntelange
Lagerung in der Liegenschaft teilweise Wasserschäden aufweist und von Schimmel
befallen ist, beinhaltet wichtige Namenskarteien und andere Informationsquellen
zu jüdischen Opfern und Überlebenden des Holocaust in und aus Österreich.
Die zweite Archivkomponente
besteht aus dem Jahrhunderte umfassenden Gesamtarchiv der IKG Wien, das nach dem
Zweiten Weltkrieg von Wien nach Jerusalem - an die Central Archives for the
History of the Jewish People - überstellt wurde. An die eine Million Seiten
holocaustrelevanten Archivmaterials wurden durch Mitarbeiter der IKG Wien
identifiziert und erfasst. Ein sehr wichtiger Teilbestand dieses Gesamtarchivs
sind die so genannten „Auswanderungsfragebögen“. Jeder jüdische Haushaltsvorstand musste ab Mai 1938 einen
detaillierten Fragebogen ausfüllen, um das Land verlassen und der
nationalsozialistischen Verfolgung entkommen zu können.
Die Fragebögen wurden von den Nationalsozialisten für die
systematische Vertreibung und Beraubung der österreichischen Juden und die
Deportation der Zurückgebliebenen verwendet. Diese so genannten
„Auswanderungsfragebögen“ bilden einen der umfangreichsten Bestände an Personendaten
zu österreichischen Juden aus den Jahren 1938 und 1939.
Mit insgesamt 1,4 Millionen Seiten sind die holocaustrelevanten
Archivbestände der IKG Wien somit eine der vollständigsten und
umfangreichsten Informationsquellen einer jüdischen Gemeinde zur Zeit des
Holocaust.
„Seit 2002 verfilmt die internationale Archivabteilung des United States Holocaust Memorial Museums in enger Zusammenarbeit
mit der IKG Wien die Archivbestände Wiens. Seit 2004 wird dasselbe Projekt in
Jerusalem umgesetzt. Die produzierten Filme werden ab Ende 2006 für Forscher
zugänglich sein.”
Über seine Erfahrung mit den
Gedenkdienern ergänzt er:
„Mit den
Gedenkdienstleistenden tausche ich gelegentlich Informationen aus. Ab und zu gehen
wir gemeinsam essen, treffen uns bei privaten Veranstaltungen und auch bei
offiziellen Anlässen auf der österreichischen Botschaft.”
***
Holocaust-Forschung
als Beruf?
Beitrag von Jürgen Matthäus[13]
„Sie sind Historiker am Holocaust-Museum
in Washington? Da haben Sie ja einen Traumjob!“
„Was, das sind Ihre
Arbeitsfelder? Wenn das mal gut geht ...“
Zwei Stimmen, die die
Spannbreite der Reaktionen aus dem weiten Kollegenkreis wiedergeben, sobald ich
erwähne, wo und woran ich arbeite.
Wie so oft liegt die Wahrheit
auch hier irgendwo zwischen den Extremen. Fest steht, dass mir meine Zeit am USHMM einzigartige Erfahrungen mit
Menschen, Archivmaterial und Forschungsthemen gebracht hat, die ich keinesfalls
missen möchte.
Aber wie kam ich nach
Washington?
Der Weg führte keineswegs
direkt von der Ruhr-Universität-Bochum
über Sydney in Australien nach Washington DC.
Auf der Ruhr-Universität promovierte ich bei Hans Mommsen, und zu meinem
Einsatz in Australien kam ich durch meinen guten Freund Konrad Kwiet, der mir
dort ein unwiderstehliches Angebot machte.
Kwiet ist einer der führenden
Historiker der Holocaust-Forschung, der schon früh an zentralen Themenfeldern,
wie deutsche Verfolgungspolitik im besetzten Europa, jüdischer Widerstand und
die Motive der Täter, arbeitete.
Von der Freien Universität Berlin, an der er in den turbulenten Jahren der
Studentenbewegung promovierte und habilitierte, zog es ihn Anfang der
70er-Jahre nach Australien, das seither seine Heimat ist. Ende der 80er-Jahre
sorgten in den australischen Medien Berichte über Beteiligte an deutschen
Kriegsverbrechen, die nach 1945 „down under“ untergetaucht waren, für
Schlagzeilen. Eine eigens geschaffene Behörde, die Special Investigations Unit (SIU)
des Attorney-General’s Department,
sollte die Anschuldigungen untersuchen. Dies war aber ohne historische
Expertise nicht machbar. Konrad Kwiet begleitete die Arbeit der SIU als Chief Historian bis zu ihrer Schließung 1992. Andere Historiker -
wie Martin Dean, der ebenfalls am USHMM
arbeitet, und ich - unterstützten ihn dabei. Anhand zahlreicher Quellen, die
aus osteuropäischen Archiven stammten und erstmals für Forschungszwecke
zugänglich waren, konnten wir untersuchen, wie der Holocaust nicht nur geplant,
sondern auch in seiner ganzen Brutalität umgesetzt wurde.
Judenmord als Forschungsobjekt
und weniger als Gegenstand institutionalisierten Gedenkens stand von Beginn an
im Mittelpunkt meiner Arbeit am USHMM.
Nachdem mich Konrad Kwiet meisterlich in das Thema eingeführt hatte, machte er
mich Anfang 1994, nach Beendigung unserer gemeinsamen SIU-Ermittlungen, auf eine Annonce aufmerksam, in der das im Jahr
zuvor eröffnete USHMM um Bewerbungen
für sein neues Fellowship-Programm bat. Wer heute auf der Museumswebsite nach
diesen Forschungsstipendien sucht, findet eine ganze Palette
unterschiedlichster Programme. Damals gab es nur zwei: die Shapiro- und die
Resnick-Fellowships.
Kandidaten für die
Shapiro-Fellowships wurden und werden vom Academic
Committee des USHMM auf Basis
ihrer hervorragenden akademischen Leistungen ernannt; die Resnick-Fellowships
dagegen richten sich an jüngere Wissenschaftler, die eher am Anfang ihrer
Karriere stehen.
Meiner Bewerbung lagen
Empfehlungsschreiben von Hans Mommsen und Konrad Kwiet bei, über den Erfolg
befanden Raul Hilberg, Willard Fletcher und andere Mitglieder des Academic Committee. Ihnen habe ich zu
verdanken, dass ich heute am Museum arbeite.
Als erster Fellow am USHMM war ich anfangs mindestens ebenso verwirrt
wie die Museumsmitarbeiter, die sich meiner annahmen: Was tut eine gerade
eröffnete und vom unerwarteten Publikumszuspruch überwältigte Institution mit jemandem,
der zu einem historischen Thema forscht und mit der Entstehungsphase des
Museums ebenso wenig vertraut ist wie mit der amerikanischen Kultur im
Allgemeinen, und besonders der Washingtoner Variante?
Dass ausgerechnet der erste
Fellow des damaligen Research Institutes
aus Deutschland kam, war nie Gegenstand von Diskussionen. Die große Kollegialität
und Wärme, mit der ich bei meiner Ankunft im August 1994 hier empfangen wurde,
begleitet mich seither. Trotz vielerlei Veränderungen - an die Stelle des Research Institute trat Ende der
90er-Jahre das Center for Advanced
Holocaust Studies; der Mitarbeiterstab ist expandiert und von den
Museumsgründern sind einige nicht länger involviert - und trotz der Tatsache,
dass es sich um eine Regierungsbehörde handelt, bleibt das Museum das, was man
als „charmatische Institution“ bezeichnen kann: Die Mehrzahl derer, die hier
arbeiten, tun dies, weil sie vom Sinn des Unternehmens überzeugt sind, sofern
sie sich nicht sogar wünschen, aus der Einsicht in die Vergangenheit könnten
Lehren für die Zukunft gezogen werden.
Seit meinen ersten Tagen am
Museum konnte ich die Hingabe und Professionalität, die viele meiner
Kolleginnen und Kollegen antreibt, bewundern. Zu den Menschen, denen ich
verdanke, dass ich noch dabei bin, gehören Sybil Milton, verstorben im Sommer
2000, Brewster Chamberlin, Wesley Fisher, Radu Ioanid, Paul Shapiro und Michael
Berenbaum. Daneben stehen all jene, die mir freundschaftlich verbunden sind.
Für zahlreiche Kontakte innerhalb und außerhalb des Museums und eine andauernde
Verlängerung meiner „learning curve“ sorgte die Beteiligung an Archiv-, Ausstellungs-
und anderen Projekten.
Seit meiner Rückkehr aus
Berlin, wo ich für das USHMM über
vier Jahre für Akquisitionsprojekte aus einigen europäischen Ländern zuständig
war, bin ich seit September 2004 für die hauseigenen Forschungsprojekte des
Centers - in erster Linie die Camps & Ghettos-Enzyklopädie und eine
vielbändige Quellenedition, über die sich mehr auf der Museumswebsite finden
lässt - verantwortlich.
Wenn in der Überschrift die
Berufsbezeichnung Holocaust-Forscher dennoch mit einem Fragezeichen steht,
liegt dies nicht an der institutionellen Spannung zwischen Bürokratie und
Wissenschaft oder an generellen Zweifeln über den Sinn derartiger
Beschäftigung.
Wer sich die Archivbestände
des Museums vor Augen hält, die Millionen von Dokumenten, Zehntausende von Photographien
und Tausende von Zeitzeugenberichten umfassen, kann nicht übersehen, dass neben
der Ausstellungsfunktion des Museums auch ein solides Fundament für kritische
Forschung besteht.
Fragwürdig ist indes der Trend
zur Spezialisierung, der selbst bei Holocaust-Experten bewirkt, dass ein
Gesamtüberblick nicht mehr möglich ist. Dennoch scheint dieser Trend
unvermeidlich zu sein.
Eine Institution wie das USHMM kann jedoch dazu beitragen, dass
die Spezialisten unterschiedlicher Disziplinen miteinander reden und - soweit
dies Sinn macht - gemeinsam arbeiten.
***
Internationalität
und Austausch in den Holocaust Studies
Beitrag von Dirk Rupnow[14]
Orte und Institutionen haben einen nicht zu
unterschätzenden Einfluss auf Inhalte und Perspektiven wissenschaftlicher
Arbeit von Historikern und Kulturwissenschaftlern. Wie viele andere
Forschungsfelder haben auch die Holocaust
Studies die Grenzen nationaler
Wissenschaftsorganisation hinter sich gelassen und funktionieren in einem
internationalen Zusammenhang. Während man jedoch immer noch selten Spezialisten
für außereuropäische Geschichte an deutschen oder österreichischen
Universitäten findet, sind andererseits an den US-amerikanischen Universitäten
Themen europäischer Geschichte stark verankert. Im Hinblick auf den Charakter
der USA als eines Einwanderungslandes mit vornehmlich europäischen Wurzeln und
als einer Supermacht mit weltweiten Interessen kann dies natürlich kaum überraschen,
dennoch läßt einen immer wieder die Qualität entsprechender
Forschungseinrichtungen und Forschungen zu Themen, deren lokaler Schwerpunkt in
großer Entfernung liegt, erstaunen. Aus europäischer Sicht scheinen für viele
Wissenschaftsgebiete der Bezugs- und Orientierungspunkt die USA und die
dortigen Universitäten und Forschungseinrichtungen zu sein. Dies beschränkt
sich freilich nicht auf die Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften, sondern
gilt ebenso für die Natur- und Biowissenschaften.
Für die Erforschung des von Deutschen und Österreichern
initiierten und mit ihren Komplizen im Namen der nationalsozialistischen
Weltanschauung durchgeführten Massenmords an den europäischen Judenheiten
während des Zweiten Weltkriegs, sind die USA geradezu zum bestimmenden Ort
geworden und nicht Deutschland, Österreich oder ein anderes europäisches Land,
in dem sich die Ereignisse zugetragen haben. Auch nicht Israel. Damit soll
keineswegs der entscheidende Beitrag von Wissenschaftlern aus allen diesen
Länder negiert werden. Vor allem auch deutsche Historiker der jüngeren, dritten
Generation haben in den vergangenen Jahren wegweisende Arbeiten vorgelegt. Dennoch
scheint der hohe Grad der Institutionalisierung und Professionalisierung der Holocaust Studies in den USA auffällig
und bemerkenswert. Natürlich lassen sich auch dafür eine Vielzahl von
historischen Gründen anführen: von der unmittelbaren Begegnung
US-amerikanischer Soldaten mit den NS-Gewaltverbrechen bei der Befreiung von
Lagern gegen Ende des Zweiten Weltkriegs über die Mitnahme von deutschen Akten
als Beweismittel in die USA und die Durchführung der Kriegsverbrecherprozesse
bis hin zu innen- und außenpolitischen Gründen in den 1980er und 1990er Jahren,
die eine Einbindung des ›Holocaust‹ in die Konstruktion US-amerikanischer
Erinnerung und Identität opportun erscheinen ließen.
Gerade das US
Holocaust Memorial Museum in Washington, dessen Eröffnung an der National
Mall im Jahr 1993 eben diese Integration markiert, hat mit seiner Architektur,
seiner Dauerausstellung und seinen diversen Programmen und Projekten
internationale Standards gesetzt. Seine Mischung aus Museum, Forschungszentrum,
Archiv, Bibliothek und Lernort ist - abgesehen von Yad Vashem in Jerusalem - einzigartig und garantiert auf allen
Feldern höchstes Niveau. Nicht zuletzt die sukzessive Sammlung der weltweit
verstreuten, Holocaust-relevanten Akten auf Mikroformaten stellt einen äußerst
ehrgeizigen, langwierigen, aber entscheidenden Schritt für Holocaust-Forscher
in aller Welt dar - und macht das Museum, sein Archiv und seine Forschungsabteilung
zu einem zentralen Ort der Holocaust
Studies. Eine gewisse lokale Distanz zum Forschungsobjekt kann
bekanntermaßen ja auch einen zusätzlichen Vorteil darstellen, falls eine
örtliche Entfernung bei einem Ereignis wie dem „Holocaust“ überhaupt eine
Bedeutung haben kann.
Dennoch bleibt es erstaunlich, dass es in Deutschland und
Österreich nur wenige vergleichbare Orte gibt, die explizit der Erforschung und
Darstellung der immerhin von Deutschen und Österreichern initiierten und unter
Beteiligung kollaborierender Gruppen durchgeführten Massenverbrechen gewidmet
sind. Neben dem Frankfurter Fritz
Bauer-Institut, das Forschung, Lehre und Öffentlichkeitsarbeit miteinander
verbindet, und der Berliner Stiftung Topographie
des Terrors, die Ausstellung und Forschung verbindet, stehen in Deutschland
vor allem zeitgeschichtliche Forschungseinrichtungen, die aber in den
vergangenen Jahren - wie die zeitgeschichtliche Forschung im Allgemeinen -
ihren Schwerpunkt zunehmend auf die Nachkriegsgeschichte verschoben haben
(Institut für Zeitgeschichte, München; Zentrum für zeithistorische Forschung,
Potsdam). Dies entspricht zwar dem stetigen Voranschreiten des Zeithorizonts
der Zeitgeschichte, der ihr per
definitionem eingeschrieben ist, übersieht aber die weiterhin bestehende
besondere Bedeutung der Ereignisse im Zusammenhang mit der NS-Verfolgungs- und
Vernichtungspolitik für unsere Gegenwart, die trotz der generationellen
Entwicklung und neuerer historischer Brüche (Auflösung der kommunistischen
Systeme) unverändert gegeben ist. Allein ein Blick auf öffentliche Debatten und
Diskurse, die sich entweder in kritischer Auseinandersetzung oder aber auch in
Abwehr auf die NS-Zeit beziehen, lässt diese Tatsache sehr deutlich werden.
In Österreich, das nach dem „Anschluss“ 1938 im Deutschen
Reich aufgegangen war, dessen Bürger aber danach als Deutsche an den
NS-Verbrechen in vollem Umfang teilnahmen, stellt sich die Situation der
Institutionalisierung noch schlechter dar: Neben den zeitgeschichtlichen
Instituten und Lehrstühlen an den Universitäten findet sich nur das Dokumentationsarchiv des österreichischen
Widerstands in Wien, das Archiv, Forschungszentrum und Ausstellung zu
verbinden versucht und sich früh mit der Geschichte des Nationalsozialismus
beschäftigt hat, dabei aber zunächst vor allem - wie der Name schon sagt - den
Blick auf Österreicher als Widerstandskämpfer gerichtet hatte, daneben allerdings
auch als erste österreichische Institution Täterforschung betrieb.
Die Internationalität gerade der Erforschung des „Holocaust“
liegt natürlich auch in der räumlichen Ausdehnung der Ereignisse begründet und
spiegelt nur die Tatsache, dass fast ganz Europa zum Schauplatz von
Diskriminierung, Raub und Massenmord wurde und diejenigen, die rechtzeitig
auswandern konnten oder überlebt haben, in alle Welt als Flüchtlinge verstreut
wurden. Diese Internationalität in der Auseinandersetzung mit den Geschehnissen
ist aber auch die Kehrseite des globalen, alle angenommenen moralischen
Schranken negierenden Anspruchs der rassistisch-antisemitischen Ideologie des
Nationalsozialismus, die die damaligen deutschen Massenverbrechen zu einer
ethischen Herausforderung in globaler Dimension werden lässt. Darum sind
internationale Zusammenarbeit und Austausch heute auch so entscheidend.
Doch gerade von kulturwissenschaftlicher Seite ist in den
letzten Jahren immer wieder betont worden, dass Geschichtsforschung und
-schreibung keineswegs objektive, über der Geschichte stehende
wissenschaftliche Tätigkeiten, sondern selbst historisch verortet und damit
kontingent sind. Geschichte ist ein Konstrukt und die eigene Position in ihr
bestimmt auch - zumindest in einem gewissen Maße - die jeweilige Perspektive
auf sie. Das gleiche könnte man von der lokalen Positionierung behaupten. Und
eben dies macht internationale Zusammenarbeit und Austausch auch so fruchtbar:
Man wird an verschiedenen Orten mit unterschiedlichen Perspektiven konfrontiert
und gewinnt mit jedem Ortswechsel neue Einsichten. Die eigene Wahrnehmung
verändert sich. Trotz vielfältiger Verknüpfungen, trotz internationaler
Tagungen, trotz Austauschprogrammen und vor allem trotz eines internationalen
Buchmarkts unterscheiden sich Themen, Diskussionen und Zugänge in verschiedenen
Ländern mehr als man in Zeiten der Globalisierung annehmen möchte.
Nun könnte man freilich einwenden, dass Internationalität
und Austausch/-fähigkeit ein essentieller Bestandteil von Wissenschaft, eine conditio sine qua non von
Wissenschaftlichkeit sind und Wissenschaftler dementsprechend schon immer
international gearbeitet haben, ihre Möglichkeiten in diese Richtung höchstens
durch die zur jeweiligen Zeit gegebenen Kommunikations- und Transporttechniken
eingeschränkt gewesen sind. Doch ein Blick in die Geschichte zeigt, dass
Internationalität und Zusammenarbeit keineswegs immer Selbstverständlichkeiten
für die Zunft darstellten - ganz im Gegenteil. Darüber hinaus sind gerade
Zeitgeschichte und jüdische Geschichte Wissenschaftsfelder, deren Status als
äußerst prekär gelten muss, was aus der heutigen Perspektive leicht in Vergessenheit
geraten kann, stehen Themen eben dieser Teilbereiche doch im Mittelpunkt des
öffentlichen Interesses und erfreuen sich großer Beliebtheit in Ausstellungen,
Museen und den Medien. Sie erscheinen dadurch fest verankert, was sich bei
einem genaueren Blick auf die akademische Landschaft allerdings als
oberflächliche Täuschung erweist.
Der Historismus des 19. Jahrhunderts schied die
Zeitgeschichte von vornherein aus dem Spektrum der Arbeitsfelder aus, unter
Hinweis auf eine angeblich unbefriedigende Quellenlage und vor allem eine
mangelnde Distanz zum Gegenstand der Untersuchung. Jüdische Kapitel kamen in
den klassischen, politikgeschichtlich orientierten und national zugeschnittenen
Geschichten auf Grund des Status als verstreut lebender Minderheit ohne Staat
ebenfalls nicht vor. Der „Wissenschaft des Judentums“, die parallel zur
Emanzipation von Wissenschaftlern jüdischer Identität initiiert wurde, blieb
die Anerkennung an den Universitäten vorenthalten. Der Nationalstaat des 19.
Jahrhunderts bedeutete auch für Bildung und Wissenschaften die
Nationalisierung, eine Situation die sich zum Ersten Weltkrieg hin stetig
verschärfte. Internationalität war natürlich vorhanden, aber vor allem als
Forum für die nationale Selbstdarstellung von Interesse, weitaus weniger als
ein Raum für wissenschaftliche Zusammenarbeit.
Die Zeitgeschichtsforschung nahm einen ersten Aufschwung
nach dem Ende des Ersten Weltkriegs, mit den Bemühungen deutscher Historiker
zur Widerlegung der im Versailler Vertrag festgeschriebenen These von der
deutschen Alleinschuld am Ausbruch des Kriegs. Zeitgeschichte war damit ein
nationales Unternehmen, weit entfernt von einem kritischen
Wissenschaftsverständnis, wie es uns heute - gerade für die Zeitgeschichte -
selbstverständlich erscheint. Die Entwicklung der „Wissenschaft des Judentums“
in Deutschland, die sich in der Weimarer Republik zaghaft an den Universitäten
zu etablieren begann, wurde jäh durch die nationalsozialistische Machtübernahme
unterbrochen. Im „Dritten Reich“ gingen allerdings nicht-jüdische deutsche
Wissenschaftler daran, eine antijüdische Wissenschaft zu konstituieren, die
sich aus explizit antisemitischer Perspektive mit jüdischer Geschichte und
Kultur beschäftigte. Auf Grund ihres Interesses an historischen Lösungsversuchen
der antisemitisch konstruierten „Judenfrage“, als vorbildhaft verstanden, wurde
von den Tätern eine Art affirmativer Antisemitismus- und Holocaustforschung ins
Werk zu setzen versucht. Entsprechend der NS-Rassenlehre wurden jedoch nicht
nur die Gegenstände geisteswissenschaftlicher Forschung biologisiert und
rassisiert, sondern auch die Forschungspraxis selbst: Wissenschaftler, die der
nationalsozialistischen Definition nach als jüdisch galten, waren von
vornherein ausgeschlossen. Wurde dies schon durch die antijüdische Gesetzgebung
und Verfolgungspolitik des NS-Systems gewährleistet, so wurde doch zusätzlich
wissenschaftlich zu argumentieren versucht, dass sie nicht objektiv über die
eigene Geschichte forschen könnten.
Nach dem Krieg, als die nationalsozialistischen
Massenverbrechen zum Kristallisationspunkt einer neuen Zeitgeschichtsforschung
wurden, wurden jüdische und nicht-deutsche Historiker, die sich früh mit
umfangreichen wissenschaftlichen Darstellungen und Dokumentationen zu Wort
meldeten, aus den einschlägigen Institutionen, der deutschen Öffentlichkeit und
vom deutschen Buchmarkt fernzuhalten versucht. Internationale Zusammenarbeit,
die uns heute selbstverständlich erscheint, hat sich auf diesen
Forschungsfeldern erst langsam durchgesetzt. Themen jüdischer Geschichte - und
damit auch der „Holocaust“ - blieben noch lange ghettoisiert.
Auch wenn die akademischen Landschaften immer noch
weitgehend national strukturiert sind, stellen Zusammenarbeit und Austausch
über die nationalen Grenzen hinweg heute nicht mehr nur ein luxuriöses Surplus für die Arbeit in den Geistes-
und Kulturwissenschaften dar. Es geht dabei auch nicht ausschließlich um die
Gewinnung und Auswertung von Material in internationalen Archiven, wie es
tatsächlich in den Holocaust Studies
notwendig ist. Vielmehr ist internationale Zusammenarbeit, anders noch als in
den Natur- und Biowissenschaften, von essentieller Bedeutung für die Geistes-
und Kulturwissenschaften, um andere Zugänge, Perspektiven, Methoden und Themen
kennenzulernen und dadurch die Kontingenz der eigenen Zugänge, Perspektiven,
Methoden und Themenwahl nicht aus dem Blick zu verlieren. Obwohl durch die
neuen Kommunikationstechniken der Globus zum Dorf geworden zu sein scheint,
sind Ortswechsel und lokale Distanzen weiterhin unabdingbare Voraussetzungen
dafür und zumindest immer ein Gewinn und Vorteil. Erfahrungen in
unterschiedlichen Forschungsumgebungen sind zu Recht ein wichtiger Bestandteil
der akademischen Arbeit. Allesamt zwingen sie zur Reflexion über die eigene
Arbeit und Perspektive, ihre Implikationen, Abhängigkeiten, Begrenzungen und
Blindstellen. Gerade darin besteht ihre besondere Herausforderung.
Wenn heute Nachkommen von Opfern und Tätern bei der
Erforschung der Geschichte des Nationalsozialismus, seiner Enteignungs-,
Vertreibungs- und Vernichtungspolitik zusammenarbeiten, so ist das keinesfalls
so selbstverständlich, wie es uns gerne erscheint - vor allem, wenn wir an
internationalen Konferenzen teilnehmen oder uns zu Forschungszwecken im Ausland
aufhalten, vielleicht sogar an Institutionen, die vornehmlich der Einladung
ausländischer/internationaler Wissenschaftler gewidmet sind. Internationaler
Austausch und Zusammenarbeit über die historischen Grenzziehungen hinweg sind
notwendig, um eben diese historischen Oppositionen, an deren Herstellung und
Vermittlung die Geistes- und Kulturwissenschaften wesentlich beteiligt waren
und die eben zu den Verbrechen, deren Untersuchung heute ihre besondere
Herausforderung darstellt, geführt und sie überhaupt erst ermöglicht haben, zu
überwinden - nicht in dem Sinne einer Einebnung und Homogenisierung, sondern
einer Form der Selbstreflexion, die integraler und zentraler Bestandteil der
wissenschaftlichen Arbeit ist und nicht nur als lästige Pflichtübung am Rande
betrieben wird.
***
Begegnungen mit Überlebenden aus einer anderen
Perspektive
Beitrag von Betsy Anthony
Es fällt mir schwer, über meine Erfahrungen mit
Gedenkdienstleistende zu sprechen bzw. darüber nachzudenken, ohne den Begriff
„Familie“ im weitesten Sinne des Wortes, unerwähnt zu lassen. Dies liegt nicht
nur daran, dass mein Mann ein ehemaliger Gedenkdienstleistender ist, oder dass
ich eine Reihe von Holocaust-Überlebenden so zu sagen als Großeltern
„adoptiert“ habe. Es liegt viel mehr daran, dass mein Gedenkdiener-Ehemann
ebenfalls von meinen Holocaust-Überlebenden „adoptiert“ wurde. Sie sehen ihn
als Mitglied der Familie.
Meine biologischen Großeltern starben noch, bevor ich alt
genug war, sie als Menschen mit Erfahrung schätzen zu lernen. Als mir dies
bewusst wurde, merkte ich erst, was mir dadurch entgangen war. Es war
allerdings zu spät: Etwas Unersetzliches war bereits verloren gegangen. Ich
suchte eine Verbindung zwischen der Gegenwart und der Vergangenheit, wollte
wissen, woher ich kam, aber sie alle starben relativ früh und ich hatte nie die
Chance, sie etwas zu fragen, bzw. von ihnen zu lernen.
Doch zum Glück wurde ich von 72 jüdischen
Holocaust-Überlebenden im USHMM adoptiert. Ich begann 1999 mit ihnen zu
arbeiten, und kurz darauf waren wir wie
eine Familie.
Es spielte nie eine Rolle, dass ich keine Jüdin war, dies
gab ihnen eher mehr Anlass, mir noch mehr zu erzählen. Es bereitete ihnen große
Freude, mit mir gemeinsam den Sabbat oder das Passahfest zu feiern, und mir
dabei geduldig jedes einzelne Gebet und Ritual manchmal öfter als einmal, zu
erklären.
Sie zeigten mir, wie wir alle miteinander verbunden sind,
und ihre Lebensgeschichten gaben meinem Leben neuen Inhalt und neue Struktur.
Ich nenne inzwischen sehr viele von ihnen „Oma“ und „Opa“
und ich sehe und fühle, dass wir uns alle sehr nahe stehen und eng verbunden
sind.
Natürlich war meine Tätigkeit am USHMM viel mehr als nur
einfach „Arbeit“. Wie ich bereits erwähnt habe, die Holocaust-Überlebenden
wurden zu meiner Familie. Ich wollte mit ihnen zusammen sein, von ihnen lernen
und an sie wie an meine Großeltern Fragen stellen.
Ich war in der glücklichen Lage, Programme, Gedenkfeiern
und sogar Parties für sie veranstalten zu dürfen. Ich half ihnen, Orte zu
finden, an denen sie ihre Geschichten mitteilen konnten, was für
Holocaust-Überlebende von größter Bedeutung ist. Sie wollen uns allen
mitteilen, was ihnen und den verlorenen Mitgliedern ihrer Familie zugestoßen
ist. Sie tragen eine sehr schwere Last an Verantwortung und werden immer wieder
mit Bildern aus der Vergangenheit
gequält und erschüttert. Ich wollte ihnen zumindest ein bisschen dabei
helfen, diese schwere Last zu tragen.
Bei ihrer Bereitschaft
sich mit zu teilen, konnte ich auch beobachten, dass sehr viele
Holocaust-Überlebende nach dem „Guten“ in dieser Welt Ausschau hielten. Viele
hatten einen offenen Umgang und Geduld bei der Arbeit mit Menschen
unterschiedlichster Herkunft und Hintergrunds. Sie arbeiteten mit
afro-amerikanischen Teenagern und Friedensgruppen, die israelische und
palästinensische Jugendliche zusammenbrachten. Sie sprachen zu politischen Verantwortlichen,
zu Pastoren und Priestern. Sie trafen sich sogar mit anderen Genozid-Opfern und
tauschten sich mit diesen aus.
Eine Gruppe von Menschen, zu denen es für sie jedoch
etwas schwieriger war und ist, engen Kontakt aufzubauen sind jedoch
Österreicher und Deutsche. Dies hatte viele unterschiedliche Gründe. Einerseits
scheuten viele den Kontakt, anderseits aber ist es oft auch nur ein Mangel an
Gelegenheiten diese zu begegnen, denn es gibt wesentlich mehr amerikanische
Familien und Schüler unter den Besuchern des Museums als deutschsprachige.
Einige Deutsche und Österreicher kommen aber doch und manche Überlebende suchen
den Kontakt zu Menschen aus dem Deutschland und dem Österreich von heute: Sie
kehren in ihre Heimatstädte zurück und nehmen Einladungen der jeweiligen Regierungen
an, die sie vor so vielen Jahren aus dem Land verjagten und vertrieben - oder
gar noch Schlimmeres mit ihnen taten. Bei diesen Gelegenheiten und Einladungen
dürfte es nicht zu sehr nahen Begegnungen gekommen sein, und ich habe mehrere
Holocaust-Überlebende gesehen, die an Erinnerungen an diesen netten
Österreicher hingen, den sie im Urlaub trafen, oder die aufmerksamen und
zuvorkommenden deutschen SchülerInnen, deren Bekanntschaft sie bei
Gedenkveranstaltungen und
internationalen Programmen machten.
Dies sind bemerkenswert großzügige Aussagen nach solch
oberflächlichen Treffen. Wenn aber die wenigen, wirklich wertvollen Gespräche
stattfanden hatte ich meistens die Gelegenheit dabei zu sein und konnte dann
einer wirklich bedeutungsvollen Begegnung beiwohnen.
Zweifellos lernen junge Deutsche und Österreicher aus dem Kontakt mit
Holocaust-Überlebenden sehr viel, aber ich weiß auch, dass solche Gespräche
auch für die Holocaust-Überlebenden selbst von unschätzbarem Wert sind.
Mein Zugang zum Thema Holocaust Erinnerungsarbeit begann
vor über 10 Jahren als Teil eines
Austauschprogramms („the International Summer Program on the Holocaust“) in dem
junge Amerikaner und Deutsche, die sich intensiv mit dem Holocaust und dessen Auswirkung in der
heutigen Gesellschaft und ihren Familien auseinander setzten.
Ich bin Sozialarbeiterin und fand danach auch beruflich
einen Weg, meine Kompetenzen dazu zu verwenden, Holocaust-Überlebende und deren
Familien im Umgang mit ihrer schmerzvollen Vergangenheit zu unterstützen. Es
war gewissermaßen unvermeidbar, dass sich
diese beiden parallelen Interessen früher oder später überschnitten. Ich
hatte diese besondere Tiefenwirksamkeit
dieser speziellen Begegnungen bereits bei früheren Begegnungsprojekten erfahren
und miterlebt, als die Enkelkinder von
Nazis und Holocaustopfern einander trafen miteinander mehr Gemeinsamkeiten
als Unterschiede entdeckten. Mein
Interesse steigerte sich auch, als ich so viele Holocaust-Überlebende immer
näher kennen lernte und mir bewusst wurde, dass auch sie den Wunsch nach
Begegnung und Dialog hatten.
So schien es nur natürlich, dass, als ich einen
dynamischen und enthusiastischen Gedenkdienstleistenden traf, ihn einzuladen um
mit den Holocaust-Überlebenden über seine Arbeit und den Verein Gedenkdienst zu
sprechen. Ich dachte, dass es nun für meine Großeltern Zeit war, ein Enkelkind
eines Nazis zu treffen.
Was sich daraus entwickelte, ist eine sehr ungewöhnliche
Geschichte.
Als Roland mit den Holocaust-Überlebenden über seine
Arbeit für Gedenkdienst sprach und ihnen von seiner Familiengeschichte
erzählte, hörten sie ihm gespannt und dankbar zu. Es schien, als hätten sie nur
auf ein Eingeständnis gewartet, dass diese Dinge auch in Österreich passiert
waren. Sie wollten es aus dem Mund eines Österreichers hören, dass sich diese
Dinge ereignet hatten, und dass Österreicher sehr aktiv daran beteiligt gewesen
waren. Natürlich wusste jeder, dass es stimmte, aber sie wollten es von
jemandem hören, von dem sie annahmen, er würde diese Beteiligung leugnen.
Diskussionen und Bilder über Haider und rechtsradikale Politik in Österreich
waren 2001 noch frisch in ihren Köpfen und die Holocaust-Überlebenden dürften
sich gefragt haben, ob sie das, was sie von einem Österreicher zu hören
bekamen, ertragen konnten.
Als Roland die Arbeit von Gedenkdienst beschrieb,
schienen sie diese Anerkennung zu erhalten. Er ging eigentlich noch einen
Schritt weiter und erzählte von seiner Familiengeschichte und erklärte ehrlich
seinen Blickwinkel, aus dem er diese Geschichte sah und erlebte.
Die meisten seiner Zuhörer waren bereit, sich anzuhören,
was sein Großvater während der Zeit des Nationalsozialismus getan hatte, und
schätzten auch Rolands Offenheit. Natürlich war er sich auch der Bilder
bewusst, die seine Geschichte für Außenstehende mit sich brachte. Anfangs war
er besorgt, dass sein stereotypes Aussehen, die hellblondes Haar und die graublauen
Augen mehr ausdrücken würden als seine Worte. Er bemerkte, wenn einige Überlebende,
die ihn das erste Mal sahen, bei seinem
Anblick innehielt. Ich glaube, er war positiv überrascht, als er erfuhr, dass
dies nur eine erste, emotionale Reaktion war.
Diese äußerst zuvorkommenden Menschen schienen offenbar
tief in ihrem Inneren dafür zu kämpfen, dass ihr intellektuelles Verständnis
die Oberhand gewinnen würde, aber es war keineswegs leicht für sie. Sie wussten
ganz genau, dass man Menschen nicht nach ihrem Aussehen und ihrer Herkunft
beurteilen sollte. Glücklicherweise nahm sich Roland viel Zeit, mit ihnen zu sprechen und sie genauer kennen zu lernen, und die Bande, die
er zwischen ihm und den Holocaust-Überlebenden knüpfte und die Freundschaft,
die im folgenden Jahr daraus entstand, waren stark und einzigartig.
Die Holocaust-Überlebenden schienen alle daran
interessiert zu sein, auch privat mit Roland zusammenzukommen, mit ihm zu reden
und einander an Geschichten teilhaben zu lassen. Sie suchten nicht nach
Entschuldigungen, und er konnte diese nicht geben. Sie trafen sich auch nicht
mit Roland, um auf einer kollektiven
oder individuellen Ebene „zu vergeben“. Sie sahen sich nicht unbedingt als
diejenigen, die zu vergeben hatten. Indem sich beide Seiten auf diese Weise
akzeptierten, schritten sie aus verschiedenen Perspektiven auf diesem Weg der
gemeinsamen Geschichte voran. Es waren keine gegensätzlichen Perspektiven - es
waren wirklich gemeinsame.
Ich lernte Roland zur selben Zeit kennen wie meine „Großeltern“
und wir verliebten uns praktisch sofort ineinander, aber durch unsere
Befürchtungen und Ängste darüber, wie man diese Neuigkeiten aufnehmen würde,
hielten wir unsere Beziehung anfangs
noch geheim. Wir hatten keine Angst davor, wie meine „Großeltern“ die
Holocaust-Überlebenden, auf diese Nachricht reagieren würden, aber eine gewisse
Besorgnis war trotzdem da. Wir wollten nicht missverstanden werden und auch
nicht missverstehen.
Und genau zu diesem Zeitpunkt versuchten sie, uns
miteinander zu verkuppeln!
Als 30-jährige Frau immer noch Singel zu sein, war für sie ein Rätsel.
„Sie ist hübsch ..., sie ist nett ..., warum ist sie
nicht verheiratet?“
Wir haben endlose Gespräche darüber geführt, die
Holocaust-Überlebenden standen mir als meine „Großeltern“ mit Rat und Weisheit
zur Seite - manchmal vielleicht mit etwas antiquierter „Schtetl-Weisheit“ -
aber nichtsdestotrotz mit tiefer Freundschaft und Fürsorge.
Womit ich nicht gerechnet hatte, war ein
Holocaust-Überlebender, der mir schlicht sagte:
„Betsy, ich kenne einen großartigen jungen Mann und ich
finde, du solltest ihn auch näher kennen lernen.“
Unser erster „Verkuppler“ arbeitete mit Roland
donnerstags als freiwilliger Mitarbeiter am Auskunftspult des Museums zusammen.
An diesem Tag führten sie ihre Gespräche auf Deutsch, so dass Pete sein
eingerostetes Deutsch verbessern konnte. Als mir dann noch eine weitere
„Großmama“ erzählte, dass „ wenn sie nur 40 Jahre jünger wäre ...“, wusste ich,
dass es nicht nur kein Problem darstellte, dass ihre „Enkeltochter“ mit einem
Österreicher ausging, sie warteten geradezu darauf.
Bis heute glauben einige
meiner „Großeltern“ immer noch, dass sie uns zusammengebracht haben.
Vielleicht waren es nicht ihre Weisheiten und Ratschläge, die schlussendlich
dazu führten, aber diese haben uns bestimmt bestärkt. Sie gaben uns zusätzlich
noch ein unermessliches Maß an Liebe und Anerkennung, nach der wir uns
tatsächlich auch sehnten. Erstaunlicherweise schien, als ob niemand stolzer und
glücklicher darüber sein könnte, dass ihre „Adoptiv-Enkeltochter“ in einen
Österreicher verliebt war, als diese 72
freiwilligen Großmütter und Großväter.
Die Holocaust-Überlebenden begleiteten uns durch die
ganze erste Zeit unserer noch jungen Beziehung. An keinem anderen Arbeitsplatz
als im USHMM wäre diese Form von Beziehung in diesem Kontext nicht nur
stillschweigend geduldet, sondern auch noch bestärkt worden. Während seiner
Dienstzeit in Washington, DC hatte Roland auch Kontakt zur dortigen
Israelitischen Kultusgemeinde und dem jüdischen Theater. Er war gemeinsam mit
zwei Holocaust-Überlebenden bei diversen Podiumsveranstaltungen und sie
sprachen über ihre Interaktionen darüber, was es für ihn bedeutete, mit
KZ-Überlebenden im offenen Dialog zusammenzusein. Und diese wiederum sprachen darüber, wie wichtig es einfach war,
einen Österreicher zu treffen, der den Holocaust-Überlebenden sagte: „Ja, diese
Dinge sind passiert, wir fühlen uns verantwortlich und so war der Umgang einer typisch österreichischen Familie mit
diesem Thema.“
Auf unserer Hochzeit waren die Hälfte der Gäste Jüdinnen
und Juden. Meine lebendigste Erinnerung habe ich an den Tanz der Hava Negila,
um den mich „meine“ Überlebenden nachdrücklich gebeten hatten. Jede von ihnen
wollte die Erste sein, die Roland in die Mitte des Kreises nahm, und bald
befanden wir uns beide in der Mitte und tanzten mit unseren
Holocaust-Überlebenden. Plötzlich wurden auch Stühle in die Mitte getragen, ein
ungewöhnliches Bild, ausgerechnet eine nicht jüdischen Frau und ihr frisch
angeheirateter österreichischer Ehemann wurden auf diesen hochgehoben und über
den Schultern der Kinder von Holocaust-Überlebenden und jüdischen Freunden -
ganz zu schweigen von den Schultern meiner katholischen und (und manchen leider
auch oft erzkonservativen christlichen Verwandten ) getragen.
Ein jüdischer Freund gab uns ein Taschentuch und
erklärte, was wir damit zu tun hätten, und „ ... mir keine Sorgen zu machen,
sie lassen dich schon nicht fallen!“
Ich kann das Gefühl nicht beschreiben, wie es ist,
wortwörtlich auf den Schultern von Freunden getragen zu werden und sich im
Kreis von Holocaust-Überlebenden zu befinden, die allesamt deine Hochzeit
feiern.
Ich bin mir darüber im Klaren, dass unser Beispiel ein
sehr ungewöhnliches ist, aber es zeigt die verbindende Kraft dessen, was man
durch einfaches Zusammenkommen, Zeitverbringen und Miteinanderreden am selben
Ort erreichen kann.
***
III. Die
Gedenkdiener haben viele Freunde
Gedanken zum
Weltfrieden - ein Dialog über Jugend und Politik mit Regina und Gene
Noch vor meinem Dienstantritt hat mich mein Vorgänger
Christoph darauf angesprochen, dass uns Regina und Gene zu einem
Wochenendausflug in ihr Haus im Shenandoah Valley, einladen
möchten. So lernten wir uns zum ersten Mal kennen. Regina und Gene waren die ersten
Freunde, die ich außerhalb des Museums kennengelernt habe...
***
Regina Lowy Espenshade wurde 1943 in Providence als Tochter jüdischer Immigranten geboren. Ihre Eltern
verloren alles, als sie vor dem Zweiten Weltkrieg Österreich verlassen mussten.
Regina wuchs in Olneyville,
Providence, auf, machte 1964 ihren Abschluss in Politikwissenschaften und
entwickelte sich zu einer internationalen Friedenserhalterin und
Wahlbeobachterin. Obwohl sie schon seit vielen Jahren in Washington DC lebt,
hat sie nie vergessen, wer sie ist und woher sie kommt. „Die Erinnerungen sind
noch zu lebendig“ - hat sie mir oft erklärt.
Reginas Eltern hatten ein Geschäft in einer kleinen
österreichischen Ortschaft im Burgenland, bis sie von den Nazis 1938 gezwungen
wurden, Österreich zu verlassen. Als sie 1939 mit ihrer Tochter, Reginas
Schwester, nach New York auswanderten, sprachen sie kein Wort Englisch und
kannten niemanden. Da es in Providence
bessere Chancen auf einen Job gab, zogen sie dorthin. Reginas Vater fand Arbeit
in einer Schiffsfabrik und ihre Mutter nahm einen Job als Putzfrau im Rhode Island-Krankenhaus an.
Während ihrer gesamten Schullaufbahn in South Providence wurde sie von Lehrern und
Freiwilligen im Nickerson Settlement
House unterstützt, die größte
Motivation erhielt sie aber von ihren Eltern:
„Meine Eltern waren müde, frustriert und sprachen kein
Wort Englisch, als sie hier ankamen. Aber dennoch gaben sie mir das Gefühl,
dass ich alles erreichen könnte, wenn ich es nur wollte.“
„Ich war seit meiner Schulzeit eine Idealistin.“ Sie
bezeichnet sich auch selbst als „Troublemakerin“. Als Schülerin war sie in
einem Diskussionsforum, als Studentin protestierte sie gegen den Vietnamkrieg
und als Praktikantin war sie 1961, 1962 und 1963 in Washington DC.
„Ich war im August 1963 für den Marsch für die Bürgerrechte dort, als Martin Luther King Jr. seine
berühmte Rede hielt. Ich nahm mir den Aufruf JFKs zu Herzen, nicht zu fragen,
was dein Land für dich tun kann... Ich war so begeistert. Das waren damals
aufregende Zeiten in Washington.“
Nachdem sie ihre Doktorarbeit über die politischen
Maßnahmen zur Bildung des Ministeriums für sozialen Wohnungsbau und städtische
Entwicklung, Department of Housing and
Urban Development (HUD),
geschrieben hatte, zog Regina nach Washington DC, um für das neue HUD zu arbeiten. „Es gab damals
außergewöhnliche Chancen für mich.“, sagt Regina, die ihre ersten 8 Jahre bei HUD an Anti-Armutsprogrammen als
kometenhaften Aufstieg bezeichnet. In den 70er Jahren widmete sie sich bei HUD dem städtischen Wiederaufbau, indem
sie an der Wiederbelebung des Time Square in New York City und anderen
Projekten arbeitete.
1980 ließ sie sich nach Israel versetzen, wo sie an dem
Wiederaufbau Jerusalems mitarbeitete, Hebräisch lernte und in der ganzen Stadt
Freunde gewann und wichtige Kontakte knüpfte. Als sie wieder in Washington war,
halfen ihr diese Kontakte 1993 bei der Aufstellung einer Einsatzgruppe aus
Amerikanern, Israelis und Palästinensern, die nach dem Friedensabkommen von
Oslo in West Bank und im Gaza Häuser errichten sollte.
1994 verließ Regina HUD und widmete sich wieder ihren
Studien. Sie
studierte Politik des Mittleren Ostens, lernte Arabisch und erhielt 1996 von
der John Hopkins University’s School of Advanced International Studies
den Master’s of International Public Policy. Sie trat der Gruppe Peace
Now bei und sah ihre Aufgabe darin, den Frieden zwischen Israel und
Palästina zu fördern.
1999 erlebte
Regina eine große Überraschung. Bei einem Besuch ihrer Schwester in der
Heimatstadt ihrer Eltern in Österreich sah sie, dass das Wahrzeichen der Stadt,
das Schloss, inzwischen der Sitz des Österreichischen Studienzentrums für
Frieden und Konfliktlösung war. Die Konvergenzen durch die Geschichte
ihrer Familie und ihrer eigenen Ausbildung waren zu stark, als dass sie hätte
widerstehen können: Regina schrieb sich in das Studienzentrum ein und machte
dort die Ausbildung zur Friedenserhalterin, durch welche sie ihre heutige
Tätigkeit als internationale Wahlbeobachterin ausüben kann.
Im Oktober 2003 war Regina Mitglied einer Gruppe von
Wahlbeobachtern, die beauftragt wurde, die angeblich demokratischen Wahlen im
einst kommunistischen Azerbaijan zu überwachen. Trotz durchsichtiger Wahlurnen
und überwachter Stimmenauszählung blieben die Kommunisten an der Macht. Die
Opposition sprach von Wahlbetrug. Regina und ihr Team verließen entmutigt das
Land, waren aber auch voller Hoffnung, dass es nach ausreichend überwachten
Wahlen vielleicht eines Tages auch wirklich demokratische Wahlen in Azerbaijan
geben würde.
Während ihres Aufenthalts in
Österreich nahm Regina die Gelegenheit wahr, ein Treffen aller Juden zu
organisieren, deren Familien aus der Gegend stammten. Es war eine Chance für
alle Nachkommen der einstigen Verbrecher und die Familien der Opfer, sich genau
auf dem Land zu umarmen, auf dem sie einst friedlich nebeneinander lebten. „Es war ein außergewöhnliches
Zusammentreffen und eine großartige Erfahrung. Ich lernte neue Bekannte aus der
ganzen Welt kennen und Menschen, die auf der Hochzeit meiner Eltern waren (der
letzten Hochzeit, die jemals in der Synagoge stattfand), und Leute, die sich
noch an den Laden meines Großvaters und seine Gewohnheit, Süßigkeiten an Kinder
zu verschenken, erinnerten.“
Mit demselben Elan plant Regina die Errichtung eines
Lernzentrums, das der Genozidforschung und den Studien zur ethnischen Säuberung
dient. Dieses Zentrum soll im selben Gebäude wie das Friedensinstitut
untergebracht werden. Ich habe Regina versprochen, sie bei dieser außergewöhnlichen Initiative, soweit
es mir möglich ist, zu unterstützen.
Darüber hinaus ist Regina in der Umgebung von Washington
DC im Boys & Girls Club aktiv,
indem sie dort beim Fundraising und Tutoring für ein neues
Gebäude hilft.
„Ich mache das wegen der Unterstützung, die ich einst vom
Nickerson House erhalten habe. Ich
bin dazu verpflichtet. Das ist meine Chance, Dankbarkeit zu zeigen.
Ich bin sehr glücklich - meine Träume sind wahr geworden.
Das ist das Schöne an diesem Land. Jemand kann mit Ideen und Einfallsreichtum
hier herkommen und etwas verändern.“
***
...Der gemeinsame Ausflug nach Blue Ridge in Virginia war
ein großartiges Erlebnis und eine sehr gute Gelegenheit, um die ländlichen
Gegenden der USA zu erleben.
Wir sind über die Interstate
Autobahn 66 in Richtung Süden gefahren und dann auf den von grünen Weiden umgebenen
Bundesstraßen abgebogen. Nach mehreren Farmen fuhren wir auch an einer
Handwerkerstätte von Amisch-Familien
vorbei. Die Amisch-Kultur ist eine evangelische Freikirche, deren Mitglieder
sich dem einfachen Leben gewidmet haben.
Das Country-Haus, das viele meiner Vorgänger
kennen, liegt auf großer Höhe in einem
Wald, von wo sich ein wunderschöner Blick auf das Tal öffnet. Reginas Freund Gene machte uns auf die vor dem
Haus hinterlassenen Spuren von Bären und Rehen aufmerksam. Ja, diese Gegend war
noch sehr unberührt und wir verbrachten ein angenehmes gemeinsames Wochenende.
Für Christoph war dieser Ausflug ein gelungener Abschluss seiner Dienstzeit in
Washington DC.
Mit Regina und Gene haben wir eine Reihe gemeinsamer
Diskussionsthemen gefunden und während der vierzehn Monate auch sehr viel
gemeinsam unternommen:
Da ich schon einige Wochen vor meinem offiziellen
Dienstantritt in Washington anreiste, konnte ich den amerikanischen
Nationalfeiertag auch im Jahr 2004 mitfeiern. Gemeinsam mit meinem Vorgänger
Christoph wurden wir von Regina und Gene, ganz traditionell, auf eine Spareribs-Jambalaya-Gartenparty
eingeladen. Dort lernten wir auch Reginas und Genes zahlreiche Freunde kennen,
unter denen auch einige Zeitzeugen aus Italien waren, und eine Dame aus
Österreich, die im Cafe Mozart in
Washington Torten nach österreichischem Rezept zubereitet. Sie alle wollten
selbstverständlich mehr über unsere Gedenkdienstarbeit erfahren und begrüßten
diese österreichische Initiative.
Im Jahr darauf feierten wir zum zweiten Mal den Tag der
amerikanischen Unabhängigkeit, mittlerweile traditionell bei Regina und Gene.
An diesem Tag wurde auch mein Nachfolger Christian geboren, leider konnte er zu
diesem Zeitpunkt noch nicht in Washington sein, um mit uns mitzufeiern. Auf dem
Weg zu Genes Haus, das auf der anderen Seite der Mall gelegen war, stieß ich
auf ein kleines Abenteuer: Ich hatte neben den anderen Leckereien, die ich für
diesen besonderen Anlass zubereitet hatte, auch zwei Flaschen Wein eingepackt und war zu Fuß unterwegs.
An der riesigen Mall
war man seit dem frühen Nachmittag mit Sicherheitskontrollen für den großen Tag
beschäftigt. Das bedeutete, dass jeder, der über die grüne Wiese der riesigen Parkanlage spazieren wollte,
angehalten und auf den Inhalt seiner Taschen überprüft wurde. Als der Beamte
einen Blick in meinen Rucksack warf, sagte er kopfschüttelnd: „Alkoholverbot“.
Ich versuchte ihm zu erklären, dass ich die Mall
nur überquerte und nicht vorhatte,
in der Parkanlage zu bleiben und
Alkohol zu trinken. Doch vergebens. Ich war gezwungen, die Flaschen entweder
dort zurückzulassen oder umzukehren. Ich entschied mich für letzteres, denn ich
wollte mir auf keinen Fall den Wein wegnehmen lassen. Ich fand die Alternative,
eine Station mit der U-Bahn zu fahren, um auf die andere Seite der Stadt zu
gelangen.
Reginas und Genes Gäste, die aus aller Welt gekommen
waren, warteten schon alle auf mich. Ich hatte mich durch den Umweg zwar
reichlich verspätet, den guten Tropfen hatte ich jedoch gerettet.
***
Thanksgiving entspricht unserem Erntedankfest und findet
jedes Jahr am 4. Donnerstag im November statt. Thanksgiving ist einer der am
breitesten gefeierten Familienfeste in den USA, dem Menschen aus den
verschiedensten Religionen beiwohnen. An diesem Tag steht die Stadt still. Ich
wurde von Regina und Gene eingeladen, und nachdem auch ich einige Häppchen für
das Festmahl zubereitet hatte, begab ich mich auf den Weg. Ich ging über die
15. Straße zur Mall hinunter und entlang der Museen und Ministerien über die Independence
Avenue entlang. Nach einer Weile bemerkte ich, dass ich weit und breit der
einzige Fußgänger war. Die Stadt war wie leergefegt.
Es war später Nachmittag und jeder Bürger schien schon
seinen Platz am Festtagstisch eingenommen zu haben. Ich ging am neuen American
Indian Museum vorbei und bog am Verwaltungsgebäude der Voice of America in Richtung Süd-Osten ab.
Am 21. Januar wurde ich hier zu einem Interview eingeladen, um über meine Tätigkeit
und über das Österreich von heute zu sprechen. Das Gespräch, das im Tonstudio
beinahe eine Dreiviertelstunde dauerte, wurde von der Journalistin Zlatica S.
Hoke zusammengefasst:
Der siebenundzwanzig Jährige
Betriebswirt, Stefan Stoev, ist zu Zeit als Zivildiener am Holocaust Memorial
Museum in Washington D.C. tätig. Eine seiner Aufgaben ist die Kontaktaufnahme
zu österreichischen Holocaustüberlebenden und Juden die aus Nazi Österreich
flüchteten. Die einen empfingen ihm offenherzig, sagt er, andere wiederum
zeigten ihm die kalte Schulter.
"Ich habe mich mit vielen von
ihnen getroffen und sie alle haben verschiedene Ansichten auf Österreich von
heute. Sie sind ehemalige Österreicher und die Vergangenheit die sie mit
Österreich verbinden ist, wie Sie sich vorstellen können, sehr bitter."
Nun, ist es Herrn Stoevs Ziel diese
Menschen davon zu überzeugen, dass sein Land nicht das selbe ist, von dem sie
vor 50 oder 60 Jahren geflüchtet sind. Sowie viele andere Österreicher glaubt
Stefan Stoev, dass er es schaffen kann.[15]
Als ich mich schließlich in der Wohngegend befand, kam
mir aus sämtlichen Häusern der Umgebung das verführerische Aroma des
traditionellen gebratenen Truthahns entgegen.
Als ich endlich angekommen war, öffnete mir Gene die Tür
und hinter ihm sah ich ihn auch schon: den reichlich gedeckten Tisch mit den
unzähligen Köstlichkeiten darauf, die alle Freunde und Bekannten liebevoll für
das Fest zubereitet hatten.
An diesem Tag feiern alle Menschen in Amerika, unabhängig
von ihrem Glauben und ihrer Kultur.
„Thanksgiving und der 4. Juli haben Bedeutung für uns
alle“, erklärte mir Genes Nachbarin Dabby. Und tatsächlich saßen an unserem
Tisch Menschen aus den verschiedensten Ecken der Welt zusammen: eine Familie
aus Mexiko, eine aus Argentinien, Katie und ihr Freund aus Peru, drei
amerikanische Familien aus der Nachbarschaft, zwei Schwestern aus Palästina,
eine Freundin aus Israel, und ich als Repräsentant Österreichs. Während wir all
diese leckeren Gerichte genossen, diskutierten wir in Vertretung unserer
jeweiligen Kultur über soziale und politische Themen. Es war ein sehr
interessanter Abend.
***
„Ich hab’ ihn
gesehen, den Hitler, als er in Wien einmarschiert is’“
Zeitzeugengespräch mit Hedi Pope[16]
Hedi Pope ist seit 1993 als freiwillige Mitarbeiterin im Holocaust Memorial Museum in
Washington tätig. Jeden Freitag arbeitet sie dort am Information Desk.
Als ich einmal an diesem Auskunftspult mit einem Besucher
deutsch gesprochen habe, beteiligte sich plötzlich eine Dame im Hintergrund an
unserem Gespräch. Auf diese Weise machte ich Hedis Bekanntschaft.
Sie ging auf mich zu und sagte: „Ich hab ihn gesehen, den
Hitler, als er in Wien einmarschiert is’.“ Wir unterhielten uns kurz über
Österreich, ihre Heimat Wien und das Projekt GEDENKDIENST.
Als ich sie an einem anderen Tag wiedersah, vereinbarten
wir, uns für ein gemeinsames Gespräch zu treffen.
Hedi Pope, geborene Politzer, wurde am
„Die Kinder sollen gehen, wir bleiben da“
Am 11. Januar 1939 verließen Hedi und ihre Schwester
Wien.
Sie hatten einen Pass, und versuchten nun, in die USA
auszureisen. Ihre Eltern blieben vorübergehend in Österreich zurück.
Hedi und ihre Schwester kamen am 27. Januar 1939 an Bord der Veendam in New York City an. Sie zogen zunächst zu ihren
Cousinen nach New Jersey, danach ging’s für Hedi weiter nach New York.
„Ich wollte gleich nach New York, denn das war besser,
alle versuchten damals, so schnell wie möglich nach New York zu gehen.“
„Es wird schon nix passieren“
Hedis Mutter, Mitzi Politzer, blieb in ihrer Wohnung in
der Stiftgasse.
„Arme Mutter. Es war damals so, dass man die Zimmer einer
Wohnung ausfüllen musste. Sobald ein Zimmer frei war, rissen es sich die Nazis
unter den Nagel und die gesamte Familie musste das Haus verlassen.“ So zogen
ihre Schwester und ihr Schwager zu ihr in den 7. Bezirk. Alle drei reisten
später gemeinsam in die USA aus.
Hedis Vater, Oskar Politzer, wurde in der
Reichskristallnacht festgenommen und nach Dachau gebracht. Dort erkrankte er
schwer und starb im Januar 1939, während seine beiden Töchter auf dem Weg nach
New York waren. Seine Korrespondenz aus diesen sechs Wochen in Dachau ist im
Besitz des Holocaust-Museums.
Hedis Eltern und Großeltern waren jüdisch, Hedi selbst
ist keine praktizierende Jüdin. Ihre Großeltern waren Geschäftsleute in Wien.
Ihre Großeltern mütterlicherseits führten auf der Kärtnerstraße unter dem Namen
C.H. Berger das Geschäft Die englische Flotte. Der Großvater
väterlicherseits, Ludwig Politzer, hatte eine Gold- und Silberwarenfabrik in
der Pagagenogasse 4 im 6. Wiener Gemeindebezirk.
„I can dance and speak“
Hedi hatte seit ihrem fünften Lebensjahr bei Marie
Trimmel, „Frau Luca“, Elinor Tordis, Hedy Pfundmayr und Grete Wiesenthal
Tanzunterricht genommen. Pfundmayr choreographierte damals im Burgtheater neben
Weihnachtsproduktionen für Kinder auch Tänze für Shakespeare-Stücke und Werke
Raimunds und Molières. Hedi hatte bereits in Wien unter der Regie von Walter
Reisch mit Pfundmayr im Film Silhouetten und
in Otto Werbergs Tanzbrettl mitgewirkt.
Kurz vor ihrer Ankunft in New York waren auch die ehemaligen Mitglieder des
Kabaretts Literatur am Naschmarkt in
die USA immigriert und hatten sich am Broadway niedergelassen. Auf Empfehlung
von Andreas Singer, der Pfundmayrs Pianist war, wurde sie von Herbert Berghof,
dem Direktor der Gruppe, eingeladen, vorzutanzen und vorzusprechen. Dort bewarb
sie sich mit den Worten: „I can dance and speak.“
„Ich musste noch ein bissl meine Aussprache verbessern
und wurde schlussendlich angeheuert.“
Das Kabarett wurde vom The Refugee Artists Group unterstützt und bestand auch aus
Mitgliedern der amerikanischen Theater- und Musikwelt. Man versuchte
tatkräftig, am Broadway die Eröffnung des Musicals From Vienna umzusetzen. Das Material dafür stammte größtenteils aus
übersetzten Skizzen, nach denen das Stück auf der Kleinkunstbühne in Wien
erfolgreich aufgeführt worden war.
„Während der Probewochen verdienten wir 15 Dollar pro
Woche, was durchaus zum Leben reichte. Nach der Premiere am 20. Juni 1939
erhielten wir alle 40 Dollar als Gehalt. Die Kritiken waren sehr gut, und wir
waren überglücklich, wieder auf einer Bühne stehen zu dürfen ...
Die politische Lage in Europa wurde aber immer drohender,
und mit dem Anfang des Krieges am 1. September 1939 kam das Ende des Musicals From Vienna im Music Box Theater am Broadway.“
Eine Rückkehr nach Europa war danach für Hedi zu
gefährlich, so bewarb sie sich mithilfe des International
Student Service um ein College-Stipendium.
„Im August erhielt ich einen Brief von der Miami University in Oxford, Ohio, in dem
mir mitgeteilt wurde, dass ich ein Stipendium erhalten hätte. Ich habe dort
drei sehr erfolgreiche Jahre verbracht und erwarb im Juni 1942 meinen Abschluss
als Bachelor of Science. Ich machte
dann noch auf dem Wellesley-College
in Massachusetts meinen Masters. Mein
Hauptfach war Physical Education, Modern
Dance und Gymnastik. Danach habe ich drei Jahre auf dem Converse College in South Carolina Modern Dance und einige Sportfächer
unterrichtet und machte Choreographien für verschiedenste Veranstaltungen, wie
zum Beispiel MayDay, eine
Veranstaltung für die ganze Stadt und Umgebung.“
Im Juni 1946 heiratete Hedi ihren Mann William C., der im
Krieg im Südpazifik gegen die japanischen Truppen gekämpft hatte. Seit dieser
Zeit leben die beiden in der Nähe von Washington, haben zwei erwachsene Kinder
und ein Enkelkind. 1958 besuchten Hedi und ihre Familie erstmals wieder
Österreich. Es ist aber nicht bei diesem einen Besuch geblieben, denn seither
haben sie neben anderen Ländern auch ihre alte Heimat viele Male besucht.
Von 1947 bis 1980 führte Hedi Pope The Dance Studio in Alexandria, Virginia, wo jährlich
durchschnittlich 250 Schüler aller Altersgruppen unterrichtet wurden.
1983 erhielt sie in Anerkennung ihrer Arbeit den Preis
für Outstanding Achievement in the
Cultural Affairs and the Arts.
Im Mai 2002 wurde Hedi auf Initiative der Tanz- und
Theaterhistorikerin Dr. Andrea Amort und Dr. George Jackson in die Alte Schmiede eingeladen, um dort im
Rahmen des Projekts „Exil und Wiederkehr“ über ihr Tanzstudium in den 20er und
30er Jahren und die Fortsetzung ihres Berufs in den Staaten zu sprechen. Da
Hedi die Tanzkunst in beiden Welten mitverfolgt und gelebt hatte, stieß dieser
Vortrag über ihre Erfahrungen und Erinnerungen auf ganz besonderes Interesse.
Im Juni 2002 veranstaltete Dr. Ursula Seeber, Direktorin
der Exilbibliothek, eine Ausstellung zur Erinnerung an Schauspieler, Musiker,
Tänzer und Kabarettkünstler, die nach dem März 1938 nach Amerika emigrierten.
Bei dieser Gelegenheit hielt Hedi eine kurze Rede. Regina Thumser und Christian
Kloesch schrieben über diese Ausstellung das Buch „From Vienna“.
Einige von Hedis alten Kabarett- und Schauspielkollegen
schafften auch den ganz großen Durchbruch. Walter Reisch wurde als
Drehbuchautor in Hollywood erfolgreich; Fred Hennings als Kammerschauspieler,
Kunst- und Kulturhistoriker; John Banner ging zum Film und wurde als Feldwebel
Schultz in der Serie Hogan’s Heroes berühmt;
und Elisabeth Neumann machte als Fräulein Schneider in Cabaret Karriere.
„Ich hab’ ja keine Häftlingsnummer am Arm“
Als ich mich am Schluss für das Gespräch bedankte, meinte
Hedi nur abwegig:
„Schön, dass du die Gelegenheit wahrnimmst, uns noch viele
Dinge zu fragen, solange wir noch alle hier sind und diese Dinge erzählen
können. Ich weiß auch gar nicht, warum du mich überhaupt gefragt hast. Meine
Geschichte ist ja nicht so aufregend. Ich hab’ ja keine Häftlingsnummer am Arm,
man hat uns ja NUR aus unserer Heimat hinausgeworfen.“
Dieser letzte Satz löste bei mir plötzlich eine Frage
aus:
Was ist eigentlich ein Zeitzeuge? Wie leichtfertig wir
doch diesen Begriff verwenden, ohne wirklich dessen Inhalt bzw. dessen
Definition zu hinterfragen. Hätte ich nicht dasselbe Gespräch auch mit meiner
Großmutter führen können? Verstehen wir unter einem Zeitzeugen wirklich nur
das, was uns der Begriff sagt, nämlich den Zeugen einer bestimmten Zeit? Oder
muss dieser Mensch für uns nicht doch gewisse Kriterien erfüllen, um für uns
zum Zeitzeugen zu werden, wie z. B. die Anforderung einer schrecklich interessanten, möglichst grauenhaften Geschichte oder
einer tätowierten Nummer? Hat die Frage überhaupt Berechtigung?
Ich weiß noch gut, dass mich diese Frage nach diesem
Gespräch nicht zum ersten Mal beschäftigt hat.
***
Das Ehrenzeichen
für Verdienste um die Befreiung Österreichs - Das Lebenswerk von Robert Bauer
Zu Tee bei Maria
Bauer
Die interessante Geschichte beginnt mit einem Leserbrief
und Einladung zum Tee bei Frau Maria Bauer.
Bei der Aussendung der der Gedenkdienstzeitung legte ich
einen Brief bei, um mich einerseits bei den Lesern vorzustellen und ihnen dabei
die Möglichkeit zu geben, um jemandem innerhalb der USA zurückschreiben zu
können. Unter den vielen Lesebriefen war auch der von Frau Bauer. Meine
Vorgänger hatte sie nicht gekannt. Sie lud mich zum Tee ein und so kamen wir
dann zum ersten Mal zusammen.
Dieses Treffen erwies sich als eine Reise durch Raum und
Zeit. Frau Bauer erzählte mir über die Umstände und schicksalhaften Ereignisse
im Zusammenhang mit der Flucht aus Österreich, über die lange Fahrt nach
Amerika und über die Zeit nach dem Krieg und die diplomatische Karriere von
Robert Bauer.
Nach meiner Rückkehr nach Österreich habe ich Frau Bauer
angeschrieben, um sie über mein Buchvorhaben zu informieren. Sie hat die Idee
sehr begrüsst und mir folgendes zu zurückgeschrieben:
„Lieber Herr Stoev,
Ich glaube wie Sie hier waren
war ich schon mit der Katalisierung der Schriften meines Mannes um die mich die
Eisenhower Presidential Library bat beschäftigt. Bevor ich noch damit fertig
war, wurde ein Voice of America Museum in Cincinnati gegründet und ich bekam
dasselbe Ansuchen dem Museum Dokumente meines Mannes zu senden, da er vor Pearl
Harbor an der Station WLWO in Cincinnati die ersten Kurzwellensendungen in
deutscher Sprache sandte. Bei Ausbruch des Krieges übernahm die Regierung die
Sender der Station und das war der Anfang der Voice of America. So stehen jetzt
die historischen Fakten der Karriere meines Mannes Historikern und Autoren zur
Verfügung.
Die privaten Details unserer
Jugend, unserer Flucht und Emigration sind in meinem Buch "Beyond the
Chestnut Trees" beschrieben, welches Sie vielleicht schon von Herrn Url
erhalten haben. Es wurde im Jahre l984 veröffentlicht und daher ist Robert
Bauer's späteres Leben, seine Tätigkeit in der Stimme Amerika's und seine Jahre
als amerikanischer Diplomat (in Iran, Paris, Kairo und New Delhi) kaum erwähnt.
(Das Buch ist noch immer in Buchhandlungen hier und am Internet zu haben.)
Nachdem er in den Ruhestand trat
begann er eine neue Karriere als Universitätsprofessor in Kenyon College, Ohio
und an der American University in Washington. In der Zeit veröffentlichte
er "The Austrian Solution", "The Interaction of Economics and
Foreign Policy" und "The United States in World Affairs." Der Verleger der 3 Antologien war die University Press of Virginia. Er
begann auch seine Autobiographie zu schreiben, die er "Nine Rivers - A
Political Autobiography" nannte, nie beendete aber eine Zusammenfassung hinterließ, in der
er kurz seine politischen Aktivitäten in den Ländern in denen er nach seiner
Emigration lebte, erwähnt.
Am
Ich habe keine Ahnung welches
und wieviel Material sie verwenden möchten. Sollten Sie sich für Weiteres
interessieren, wobei ich Ihn helfen könnte, bitte schreiben Sie es mir. Am 24
Mai werde ich nach Europa reisen und ab 6. Juni wieder in Washington sein.
Viel Glück mit Ihrer
interessanten Arbeit und ich werde mich freuen wieder von Ihnen zu hören.
Mit herzlichen Grüßen
Maria Bauer“
***
„Ich kenne alle deine Vorgänger“, sagte Frau Rodeck zu
mir, als ich ihr vorgestellt wurde. Vor über zehn Jahren erfuhr die
Österreichemigrantin erstmals vom Projekt Gedenkdienst. Aus dieser
Bekanntschaft hat sich nun eine langjährige Freundschaft entwickelt. Die
91jährige Melita, die vor zwei Jahren ihr Haus in Foggy Bottom aufgab und heute zurückgezogen im Saint Thomas Altenheim lebt, freut sich stets über den Besuch ihrer
Freunde vom Gedenkdienst. Die Gedenkdiener unterstützen sie bei der Erledigung
aller Notwendigkeiten, von Lebensmitteleinkäufen bis hin zu bürokratischen
Angelegenheiten. Einmal, nachdem ich vom Lebensmittelladen zu ihr kam, und ihr
Brot, Milch und ihre Lieblings-Muffins brachte, nahm sie mich bei der Hand und
flüsterte mir ins Ohr: „Was würde ich nur ohne euch machen.“.
Melita Rodeck immigrierte 1939 nach New York. Zuvor hatte
sie am polytechnischen Institut der Technischen
Universität Wien studiert, konnte ihr Studium jedoch nicht abschließen. In New
York arbeitete sie zunächst als Freiwillige in der Armengegend von Harlem.
Vier Jahre später zog sie nach Washington DC, um für die
Verwaltung der amerikanischen Regierung zu arbeiten. Nach Abschluss der
Lizenzprüfung zur Architektin begann sie als selbstständige Unternehmerin mit Architekturbüros zusammenzuarbeiten, bis sie schließlich 1958
ihre eigenes Büro eröffnete.
Nun blickt Melita Rodeck auf sechs Jahrzehnte als
erfolgreiche Architektin für die Regierung der Vereinigten Staaten zurück.
***
‚Wir fangen besser
an zu packen’
Zeitzeugengespräch mit dem ehemaligen Wiener
Medizinstudenten Charles Stein[17]
Charles Stein arbeitet seit vielen Jahren als
freiwilliger Mitarbeiter am Holocaust-Museum in Washington. Durch meine liebe
Bekannte und Freundin Hedi Pope hatte ich die Ehre, seine Bekanntschaft zu
machen und wurde auch gleich von ihm zu einem Gespräch eingeladen. Hier ist
seine Geschichte:
Charles befindet sich gerade im zweiten Semester seines
Medizinstudiums in Wien, als er dieses am
Während einer Vorlesung am Institut bemerkt er bereits,
dass im Land eine Veränderung vor sich geht: Die Hörsäle sind voller Studenten,
die Nazischleifen tragen, und einige von ihnen haben sogar Waffen bei sich.
Nach der Vorlesung muss Charles mit ansehen, wie ein
schreiender Mob von Nazis einen jungen Mann durch die Straßen hetzt, der sich
schließlich in einen Keller in der Nähe des Instituts retten kann.
Charles ist auch dabei, als Hitler in Österreich
einmarschiert:
„Meine Eltern warnten mich noch inständig: ‚Geh nicht
hin!’ Ich sah, wie die jubelnde Menge ihrem Führer ‚Sieg Heil!’ zuschrie.
Daraufhin bin ich sofort zu meiner Familie zurück und teilte allen mit: ‚Wir
fangen besser an zu packen!’
Wir trafen uns in den Straßen zum Informationsaustausch.
Dort war man am sichersten. Einmal traf ich mich mit einem Freund Ende Juli
1938 in der Kärtnerstraße. Angeblich wurde bereits nach ihm gesucht. Er
erzählte mir von der Möglichkeit eines ‚stateless passports’, durch den man
über Luxemburg in ein anderes Land fliehen konnte.
Ich wusste, dass ich aufgrund meiner Familiengeschichte
die Chance hatte, als ‚staatenloser Bürger’ anerkannt zu werden und durch
diesen Status ausreisen konnte.
Meine Eltern stammten nämlich ursprünglich aus dem
Kaiserreich Rumänien. Die Familie meines Vaters kam 1898 nach Wien. Mein Vater
kämpfte im I. Weltkrieg für Österreich und war ein wirklicher Patriot. 1919 kam
ein Gesetz heraus, nach dem sich alle Menschen, die nicht im neuen Österreich
geboren waren, nur um die Staatsbürgerschaft ansuchen mussten, um diese zu
erhalten. Mein Vater dachte aber, dass
dies für seine Familie ohne Belang wäre. Schließlich lief die Frist für eine
Bewerbung ab und unsere Familie war offiziell staatenlos. Dies wusste ich
nicht. Als ich auf der Uni meinen so genannten Heimatschein herzeigen sollte,
konnte ich diesen natürlich nicht aufweisen und erhielt den Status ‚Ausländer’.
Dieser Ausweis für Staatenlose rettete mir mehrere Male
das Leben, denn ich war nun offiziell Ausländer und blieb verschont:
Einmal war ein SS-Mann bei meiner Cousine, die mit der
Zahnbürste den Boden reiben musste. Der SS-Mann fragte nach meinem Ausweis, und
als ich ihm durch diesen meine Staatenlosigkeit bescheinigte, schrie er nur:
‚Hau ab!’’
‚Es wird schon nix passieren’
Meine Eltern suchten um keinen Reisepass an. Sie waren
der Meinung, es würde ihnen schon nichts passieren. Ich glaubte das nicht und
begab mich zur Beantragung eines Visums ins „Konsulat Luxemburg“, das im Grunde
ein schlichtes Apartment war. Die Beamtin dort fragte mich:
‚Was wollen Sie?’
Ich antwortete: ‚Einen Transitpass.’
‚Wohin wollen Sie?’
‚Nach Amerika.’
Wie erstaunt war ich, als die zuständige Beamtin mir
prompt antwortete:
‚Kommen Sie morgen für das Visum vorbei.’
Nach 24 Stunden Wartezeit erhielt ich durch das Konsulat
mein Visum.
Ich sehe noch meine Eltern vor mir, als ich mich
vorübergehend von ihnen verabschieden wollte, um mich für meine Ausreise zum
Westbahnhof zu begeben. Noch heute höre ich die letzten Worte meiner Mutter,
die sie bei meiner Verabschiedung zu meinem Vater sagte, und die ich nie wieder
vergessen werde:
‚Wir werden unseren Sohn nie wieder sehen’
Bedauerlicherweise sollte sie Recht behalten.
An der Grenze nach Luxemburg wurde unser Zug von der SA
mit dem Befehl ‚Juden raus!’ angehalten. Ich wurde zum Verhör in einen Raum
gebracht, wo ein deutscher Mann auf mich wartete. Ich erinnere mich, dass ich
meine Violine bei mir hatte. Mein Gepäck wurde untersucht, ich bekam mein OK
und durfte für die Weiterreise zum Zug zurück.
Als ich mich auf dem Weg zurück zum Zug befand, erlebte
ich die größte Überraschung meines Lebens:
Der Deutsche, der noch Minuten zuvor mit mir im
Vernehmungsraum gesessen hatte, sagte mir:
‚Ich wünsche Ihnen viel Glück.’
Dies von einem Deutschen zu jener Zeit zu hören, war
wirklich unglaublich.
Als mein Freund Max und ich endlich in Luxemburg ankamen,
hatten wir nicht die geringste Ahnung, wohin wir eigentlich gehen sollten.
Plötzlich sah Max ein bekanntes Gesicht:
‚Was machst du denn hier?’
Wir trafen doch tatsächlich Max’ alten Freund in
Luxemburg wieder. Von ihm erfuhren wir, dass die jüdische Organisation ESRA 200
Leuten bei der Ausreise geholfen hatte.“
Die jüdische Organisation ESRA kümmerte sich nicht nur um
die Visa, sondern auch um den Legalisierungsprozess und die Verpflegung bzw.
Unterkunft der Neuankömmlinge. Auch die Bevölkerung bot den Flüchtlingen häufig
Unterkunft an.
Charles teilte sich ein Zimmer mit drei weiteren Kollegen
und schlief auf dem Boden:
„Da es ja nicht möglich war, in Luxemburg sofort Arbeit
zu finden, hieß es für uns am Anfang, sich mit Hilfsarbeiten, wie Kirschen
brocken und Häuser streichen, durchzuschlagen.“
‚Möchtest du nicht bei uns mitspielen?’
„Ich konnte ja recht gut Englisch, es war fließend. Immer
wieder fragte man mich später, wo ich denn so gut Englisch gelernt und warum
ich keinen Akzent hätte. Meine Antwort war immer dieselbe:
Ich hatte großartige Lehrer. Ich lernte es im ersten
Bezirk in Wien: Im Kino. Durch Edward G. Robinson und Fred Astaire ...
Durch ESRA lernte ich drei Musiker kennen, die in einem
nahe gelegenen Restaurant als Band auftraten. Musiker hatten ja die Erlaubnis,
zu arbeiten, denn diese kamen ohnehin immer aus dem Ausland. So nahm ich meine
Violine und spielte bei ihnen vor, woraufhin sie mich prompt fragten:
‚Möchtest du nicht bei uns mitspielen?’
Meine Antwort lag auf der Hand.
In der Zwischenzeit erreichten uns aber auch die
furchtbaren Nachrichten über die Reichskristallnacht 1938. Die Sorge um meine
Eltern wuchs. Ich kannte jemanden, der Leute über die Grenze schmuggelte. Durch
ihn war ich schließlich in der Lage, 1939 Kontakt zu meinen Eltern aufzunehmen.
Wir entwickelten eine eigene Codesprache, durch die wir kommunizierten und alle
Vorbereitungen für ihre Ausreise trafen. Meine Eltern sollten über eine Brücke
durch den Wald ihre Flucht antreten können. Doch sie wurden aufgehalten,
konnten kein Ausreisevisum vorweisen und durften somit auch nicht nach
Luxemburg auswandern.
Ich versuchte verzweifelt, Kontakt zu meiner Familie
aufzunehmen, um mich darüber zu informieren, was denn vorgefallen sei.
‚Wir sind wieder zuhause’
Zwei Wochen später erhielt ich eine Postkarte von der
Wohnadresse meiner Eltern in der Margarethenstrasse mit den Worten ‚Wir sind
wieder zuhause’ darauf.
Als ob dies alles nicht schon schlimm genug gewesen wäre,
verloren sie auch noch ihre Wohnung in Wien und mussten zu anderen Leuten
ziehen. Ich machte einen Cousin meiner Mutter in Amerika ausfindig und ging zur
amerikanischen Botschaft in Antwerpen, um für mich ein Visum zu beantragen. Ich
erhielt auch ein OK. Aber das war erst der Anfang des bürokratischen
Spießrutenlaufs:
Immer wieder wurden neue Dokumente über unsere Verwandten
aus New York angefordert. Irgendwann 1939 wurden die angeblich letzten Papiere
eingefordert. Doch dann brach der Krieg aus, und wir waren alle mitten drin.
Ich war damals Chorsänger in der Synagoge, und als ich
dorthin kam, teilte mir der Chorleiter mit, er hätte einen Brief für mich in
seinem Haus. Ich war nämlich vorher umgezogen, deshalb lag keine Adresse mehr
von mir vor und meine Briefe wurden direkt zu ihm geschickt.
Wir gingen zu ihm in die Wohnung und seine Frau fand
einen Brief, der an mich adressiert war, versteckt hinter Kaffeetassen. In dem
Schreiben vom September 1939 wurde ich aufgefordert, mich zur Botschaft zu
begeben, um mein Visum abzuholen. Zwei Monate später, am
Im Oktober 1941 erhielt ich eine Postkarte meiner Eltern,
auf der sie mir mitteilten, dass sie nach Litzmannstadt deportiert würden. Das
war das letzte Mal, das ich von Ihnen hörte.“
50 Jahre später findet Charles in Zusammenarbeit mit dem
Leiter der Archive im Holocaust-Museum in Washington deutsche Unterlagen aus
Polen, die darauf schließen ließen, dass seine Eltern im Logbuch Volume IV
verzeichnet sein dürften.
Durch diese Aufzeichnungen erfährt Charles nach so langer
Zeit die traurige Wahrheit:
Seine Eltern wurden am
In den USA arbeitet Charles Stein anfangs in einer
Textilfabrik für 14 Dollar die Woche. Nach sechs Monaten wird die Fabrik aber
geschlossen. Charles sucht weiterhin nach einer Möglichkeit, sein
Medizinstudium zu beenden.
Im September 1941 erhält er zwei Briefe, die direkt an
ihn adressiert sind:
In einem wird ihm ein Stipendium an einer Universität in South
Carolina angeboten. Voraussetzung ist jedoch, Chemie zu studieren.
Im zweiten Brief steht: „Your friends and neighbors have
selected you fort he Army.“
Charles trifft eine Entscheidung und geht zur Army. Zwei
Monate später erfolgt der Angriff auf Pearl Harbor.
Am
Durch die russische Besetzung Wiens ist es ihm auch nicht
möglich, seine alte Heimat sofort nach dem Krieg zu besuchen.
Charles verfolgt weiterhin das Ziel, sein Medizinstudium
zu beenden und sucht für Stipendien an. Ihm wird zwar die Möglichkeit eines
Studiums in Zürich und Basel zugesprochen, hierzu fehlen aber die notwendigen
Geldmittel. Nach einem gescheiterten Versuch in der Exportbranche bekommt er
1948 ein Schreiben aus dem Pentagon, in dem er aufgefordert wird, doch mit den
Behörden Kontakt aufzunehmen.
So geht Charles zurück zur Army und wird einen Monat
später Chef der Übersetzungsabteilung. 1951 wird er für über ein Jahr nach
Korea geschickt. Zwischen 1966 und seiner Pensionierung 1978 arbeitet er als
Diplomat für das US State Department.
Im Oktober 1973 besucht Charles erstmals wieder seine
alte Heimat Wien.
Ich danke Charles Stein dafür, dass er sich die Zeit
genommen hat, mir geduldig seine so spannende wie traurige Geschichte zu
erzählen, und uns dadurch an einem weiteren Schicksal eines Holocaustopfers
teilnehmen lässt.
***
„Ich wollte nach Europa geschickt werden, um mich am Kampf gegen die Nazis
zu beteiligen.“
Zeitzeugengespräch mit Gerald
Schwab[18]
Gerald Schwab ist seit mehreren Jahren als Freiwilliger
Mitarbeiter in der Historikerabteilung am USHMM
in Washington tätig. Auf diesem Wege hatte ich auch die Ehre, seine
Bekanntschaft zu machen. Gerry, wie seine Freunde und Kollegen ihn nennen,
wurde 1925 in Freiburg im Breisgau in Deutschland unter dem Namen Gerd geboren.
Als ihm 1944 bei seinem Naturalisationsprozess in den USA
seine Armeepapiere ausgestellt wurden, ließ er seinen Vornamen auf Gerald
ändern. Gemeinsam mit seiner Familie, die aus Breisach am Rhein stammt, zog er
im Jahr 1933 für kurze Zeit nach Basel. Sein Vater war von Beruf Kaufmann und
in mehreren Ländern tätig. Gerds Familie lebte dann eine Zeitlang in
Frankreich, in der Kleinstadt Saint Louis (St. Ludwig), an der Schweizer
Grenze, wo der junge Gerd zur Schule ging, bis die Familie Mitte 1935 wieder
zurück nach Deutschland, in die Stadt Lörrach, zog.
Nach den Schrecken der Reichskristallnacht erklärte sich
die Schweiz bereit, 300 Kinder aufzunehmen. Die deutsche Reichsregierung hatte
zu diesem Zeitpunkt noch keine Einwände gegen die Ausreise von Kindern, und so
wurde Gerd im April 1939 im Alter von 14 Jahren zu einer Bauerngastfamilie in
die Schweiz geschickt. Das darauffolgende Jahr verbrachte er in Mönchaltdorf
und in Hütten ob Wädenswil am Züricher See. Seine Eltern durften
weder aus Deutschland ausreisen noch in die Schweiz einreisen und blieben somit
in Lörrach zurück. Die Familie blieb während dieser Zeit im ständigen Kontakt.
Ein Jahr später, im Mai 1940, kehrte Gerd nach Deutschland zurück, um für die
Familie die Ausreise aus Europa vorzubereiten: Am 10. Mai, am Tag des Angriffs
auf Holland und Belgien, wurde seine
Familie vom amerikanischen Konsulat in Stuttgart aufgefordert, ihre
Einwanderungspapiere abzuholen. Noch in der darauffolgenden Woche trat die
Familie in der Hoffnung, aus der Unsicherheit zu flüchten, ihre Ausreise nach
Amerika an. Die lange Reise erfolgte auf dem Dampfer George Washington, und
führte von Genua nach New York in die Vereinigten Staaten. Einen Monat später
wäre dies bereits nicht mehr möglich gewesen, zumal sich auch Italien als
Alliierter des Deutschen Reichs dem Krieg angeschlossen hatte. Nach einem
kurzen Aufenthalt in New York zog die Emigrantenfamilie nach Long Branch in New Jersey. Dort
arbeitete Gerrys Vater zu Beginn als Chauffeur und Gärtner und Gerrys Mutter
als Hausangestellte für eine wohlhabende Familie. Im August 1941 konnte die
Familie durch ein Darlehen, das ihr die Jüdische Landwirtschaftsgemeinschaft (Jewish Agricultural Society) gewährte, eine Hühnerfarm erwerben.
Auch während seiner Schulzeit musste Gerry auf dieser Farm mithelfen.
Anfang 1944 ging Gerald Schwab freiwillig zum Militär
und, nachdem er einen dreizehnwöchigen Vorbereitungskurs in Florida absolviert
hatte, wurde er als Infanterist zurück nach Europa geschickt, und zwar nach
Italien.
„Die Ausbildung in Florida war hart, denn es war nicht in
dem Teil von Florida, den du aus den Ferien kennst...das militärische
Trainingslager war im Norden situiert, in einer Gegend wo es hauptsächlich
Sand, Sümpfe und Schlangen gab...nach der Ausbildung hatte ich zwei
Möglichkeiten: die Division im Pazifik oder die Kampftruppe in Europa...“ Gerry
versinkt für einen Augenblick im Gedanken und fährt dann fort. „Ich wollte nach
Europa geschickt werden, um mich am Kampf gegen die Nazis zu beteiligen.“
Lächelnd fügt er hinzu: „... der Grund wie es dazu kam, war interessant. Es war
eine Voraussetzung für alle Soldaten, die eine Brille trugen, auch eine
Ersatzbrille bei sich zu haben, und damals war es nicht so einfach wie heute,
eine Brille zu bekommen. Ich musste auf meine zweite Brille warten und wurde deshalb
nicht mit der Einheit, mit der ich gemeinsam ausgebildet worden war, entsendet.
Die Truppe wurde nach Frankreich geschickt und war an der Ardennes-Schlacht,
der letzten großen Schlacht des Zweiten Weltkriegs, beteiligt. Ich kam dann
zwei Wochen nach meinen Kameraden, im November 1944, nach Neapel, anschließend
nach Caserta und von dort aus in den Norden zur zehnten Gebirgsdivision, die
übrigens die einzige amerikanische Gebirgsdivision war. Vor kurzem wurde ich
gefragt: ‚Was haben Sie am 8. Mai 1945, am Tag des offiziellen Kriegsendes,
gemacht?’ Die Antwort ist einfach: Ich habe geschlafen. Denn zu diesem
Zeitpunkt war für unsere Einheit der Krieg in Europa bereits seit einigen Tagen
zu Ende. Wir waren
müde und glaubten, dass wir in Kürze in den Pazifik versetzt würden. Meine
Kameraden wurden in die Vereinigten Staaten zurückverschifft, um von dort aus
in den Fernen Osten versetzt zu werden. Und ich wurde dem Hauptquartier der
Fünften Armee zugewiesen, da sie einen Dolmetscher und Übersetzer brauchten.
Das Hauptquartier war an der Gardone Riviera am Gardasee, wo ich dann
für die nächsten zwei Monate tätig war. Dann wurde ich in Gmunden, Österreich,
für den Nachrichtendienst eingesetzt, und im Mai 1946 habe ich mich in Wien
offiziell von der Armee abgemeldet.“
Nach Kriegsende war Gerry für ein weiteres Jahr in
Deutschland tätig: Zunächst sechs Monate als Dolmetscher und Übersetzer
beim Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg und dann weitere sechs
Monate als Forschungsanalytiker in Berlin, wo er im Auftrag des
Justizministeriums an der Vorbereitung der Dokumentationen für die Nürnberger
Prozesse arbeitete. Während dieser Zeit hatte er auch Zugang zu den Akten der
Reichskristallnacht. Viele Jahre später verwendete er die daraus gewonnenen
Erkenntnisse für ein Buch. Danach reiste Gerald zurück in die Vereinigten
Staaten und besuchte dort die Universität. Da er aufgrund der zuvor genannten
Umstände keinen Highschool-Abschluss hatte, immatrikulierte er an der Chicago
Universität, da diese die einzige große Universität in den USA war, die eine
Zulassung ohne den Highschool-Abschluss ermöglichte. Dort studierte er drei
Jahre, auf die ein Studienjahr an der Stanford Universität in Kalifornien und
ein weiteres Studienjahr an der George Washington Universität in DC folgten.
Nach seinem Abschluss im Jahr 1951 arbeitete Gerald
Schwab zunächst im öffentlichen Dienst und dann im Außendienst des State Departments
der amerikanischen Regierung. Von 1955 bis 1957 war er für den amerikanischen Außendienst
in Wien tätig. Im Anschluss daran war er in vielen Ländern, darunter Togo und
Sierra Leone, in diplomatischer Mission unterwegs. Heute lebt Gerry in Alexandria
und unterstützt unsere Abteilung bei verschiedenen Forschungsaufgaben.
***
Die Nürnberger Prozesse[19]
Anlässlich dieses sechzigsten
Jahrestages der Nürnberger Prozesse hat auch das United States Holocaust Memorial Museum in Washington dieser
Thematik eine eigene Ausstellung gewidmet. Die Besucher können hier durch das
Originalfilmmaterial den Hauptverhandlungen beiwohnen und die
Originalprogrammhefte, Anwesenheitslisten und Eintrittskarten zur Verhandlung
besichtigen. Ein Ausstellungsstück von ganz außergewöhnlichem Wert sind die
Originalkopfhörer von Hans Frank, durch die er seine Dolmetschung empfangen
konnte. Darüber hinaus wird durch einen Plan des Originalgerichtssaales die
Sitzordnung der Angeklagten, Richter und Dolmetscher veranschaulicht.
Einer dieser Dolmetscher für den
Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg war „Gery“ - Gerald Schwab.
Er wurde in Deutschland geboren
und musste 1940 mit seiner Familie nach New Jersey in die USA flüchten. Er
kämpfte im Krieg gegen die Nazis und wurde aufgrund seiner Kenntnis der
deutschen Sprache zunächst für den Nachrichtendienst und schließlich als
Dolmetscher in Nürnberg eingesetzt.
Um gegen die
nationalsozialistischen Organisationen Beweismaterial für die Verhandlungen zu
sammeln, wurde eigens eine Kommission gebildet, deren Aufgabe darin bestand,
über 100 Personen zu befragen und aus diesen „Hearings“ oder
Vorbereitungsgesprächen wertvolle Information für die Prozessführung zu
gewinnen.
Aus diesem Grund wurden einzelne,
der Mittäterschaft beschuldigte Nazis vor diese Kommission geladen, um dort
ihre Aussage zu tätigen.
In dieser Kommission herrschte -
wie auch am Gerichtshof selbst - ein enormer Mangel an Dolmetschern. Der
Großteil der in den Vor- und Hauptverhandlungen eingesetzten Sprachmittler
waren einzig wegen ihrer Sprachkompetenz eingestellt worden. Keiner von ihnen
brachte juristisches Vorwissen mit, die meisten hatten lediglich Maturaniveau
in ihren Sprachen und arbeiteten das erste Mal in ihrem Leben als Dolmetscher.
Es gab zwar eigene Übungsrunden für Simultandolmetscher, für
Konsekutivdolmetscher waren aber keine besonderen Vorkenntnisse erforderlich.
Gerald Schwab arbeitete mit
seinen 21 Jahren als Konsekutivdolmetscher in diesen eher informellen Hearings,
in denen ausschließlich mit den Sprachen Englisch und Deutsch und in beide
Richtungen gearbeitet wurde. Seine Englischkenntnisse stammten aus der
Schulzeit und seinem Leben in den USA. Er dolmetschte Beschuldigte wie Albert
Kesselring, den Oberbefehlshaber über Italien und das Mittelmeer, Helmuth
Knochen, den Kommandanten der Sicherheitspolizei in Frankreich, und weitere
Stabschefs und Reichsleiter. Er erinnert sich gut daran, dass er versuchte,
auch als Simultandolmetscher zu arbeiten, leider aber an den schwierigen
Anforderungen scheiterte.
Sehr oft musste während der
Hearings unterbrochen werden, da der Beschuldigte einfach viel zu schnell
sprach und die Gesprächsdolmetscher
nicht folgen konnten.
So erinnert sich Schwab an eine
Verhandlung mit Generalfeldmarschall und Oberbefehlshaber Gerd von Rundstedt:
„Er sprach zehn Minuten durch
und das mit unglaublicher Geschwindigkeit. Das war für uns viel zu lange. Wir
mussten das Gespräch unterbrechen, da wir nicht in der Lage waren, eine
Dolmetschung durchzuführen. So bat der Kommissionsleiter von Rundstedt, seine
Ausführungen zu wiederholen. Wie erstaunt waren wir, als von Rundstedt beim
zweiten Durchgang die exakt selbe Rede im selben Wortlaut hielt wie beim ersten
Mal, nur diesmal eben aufgeteilt in zwei Abschnitte zu je fünf Minuten.“
„Please explain!“
Obwohl Schwab durch seine
Militärzeit ein gutes Fundament an Militärterminologie mitbrachte, denkt er
heute noch mit Entsetzen daran zurück, wie schwierig es war, entsprechende englische
Übersetzungen für deutsche Titel und Ränge zu finden:
„Ich hatte ja nur sechs Jahre
Englisch gelernt. So war ich gezwungen, besonders bei spezieller
NS-Terminologie zu unterbrechen und nachzufragen: ‚Please explain!’
Ich erinnere mich an den Begriff
Wehrsport, den ich ins Englische zu übertragen hatte. Aber dafür hatten wir im
Englischen keinen Ausdruck. So versuchte ich, den Begriff mit military sports
zu übersetzen. Plötzlich war im Verhandlungsraum zu hören: ‚Einspruch! Falsche
Übersetzung!’ Dieser Einwand kam vom Verteidiger der SA. Daraufhin musste die
Verhandlung für längere Zeit unterbrochen werden und eine hitzige Debatte war
die Folge.“
Auch Hermann Göring versuchte
sich bei einem Verhör durch Chefankläger Jackson auf einen Übersetzungsfehler
auszureden:
Auf den Hinweis des Anklägers,
er habe doch persönliche Anweisungen zur Endlösung gegeben, antwortete Göring:
„Diese [englische] Übersetzung
ist in keinster Weise korrekt. Ich habe lediglich von einer Gesamtlösung der
Judenfrage (total solution) [...] und nicht von einer Endlösung (final
solution) gesprochen ...“
„Bitte langsamer!“
Simultan wurde einzig im
Hauptgerichtssaal gearbeitet. Dort wurden während der Verhandlungen von 10 bis
Die Kontaktaufnahme mit dem
Richter erfolgte über ein Zwei-Lampen-System: Während das gelbe Lämpchen ein
„Bitte langsamer!“ signalisierte, bedeutete das rote „Bitte die Verhandlung
kurz unterbrechen!“. Beide befanden sich auch direkt am Richterpult, und wenn
Letzteres aufleuchtete, ließ der Richter die Verhandlung sofort unterbrechen,
um z. B. den jeweiligen Dolmetscher austauschen zu lassen.
Alle Dolmetschungen wurden nach
einem Verhandlungstag am Abend mit den Originalreden verglichen. Etwaige Fehler
wurden am nächsten Tag dem Gericht mitgeteilt und berichtigt.
Für die Prozesse wurden in einem
Jahr über 400 Dolmetscher aus verschiedensten Ländern getestet. Durch die nervliche
Belastung und die furchtbare Thematik der Verhandlungen waren aber nur 5 % für den Einsatz als Simultandolmetscher
geeignet.
Auch Gerald Schwab erinnert sich
daran, dass seine Kollegen beim Simultandolmetschen durch ihr fehlendes juristisches
und militärisches Wissen - aber auch durch ihre mangelnde Dolmetscherfahrung -
immer wieder an ihre Grenzen stießen:
„Das Problem meiner Kollegen
beim Simultandolmetschen aus dem Deutschen bestand darin, dass im Deutschen das
Verb nun einmal am Ende eines Satzes steht und es schwer vorauszusagen ist, ob
nun eine Bejahung oder Verneinung folgt. Die Kollegen haben einfach geraten,
und gelegentlich lagen sie falsch.
Ich erinnere mich an eine
Dolmetschung aus dem Russischen, die ich mir einmal anhörte. Es war
unglaublich, denn diese ergab überhaupt keinen Sinn. Es war einfach aneinander
gereihtes Kauderwelsch. Es war weder Russisch noch Deutsch, geschweige denn
Englisch. Der Dolmetscher musste durch einen anderen ersetzt werden. Die
Gefahr, gefeuert zu werden, bestand ja nicht, da extremer Personalmangel
herrschte.“
„Wir versuchten, fair zu sein“
Eine interessante Frage, die
sich in diesem Zusammenhang ergibt, ist, welches Recht die Angeklagten auf
einen fairen Prozess hatten, und wie häufig Ankläger - aber auch Angeklagte -
versuchten, den Prozess über die Dolmetscher zu beeinflussen.
Gerald Schwab erinnert sich ganz
genau daran:
„Wir arbeiteten 45 Minuten,
danach mussten wir eine Pause machen. Jeder Dolmetscher arbeitete einen halben
Tag. Niemand versuchte, den Prozess zu beeinflussen. Auch wir nicht. Wir
versuchten, fair zu sein.
Einmal saß ich während einer
Pause neben Max Jüttner, dem stellvertretenden Stabschef der SA. Ich hatte ihn
im Hearing gedolmetscht. Dort hatte er angegeben, dass in der
Reichskristallnacht seine Aufgabe und die seiner Kollegen einzig darin
bestanden hätte, jüdisches Eigentum und jüdische Synagogen zu schützen. Als er
nun in dieser Pause neben mir saß, fing er plötzlich an, mit mir zu reden: ‚Sie
sprechen aber gut Deutsch.’ Er fragte mich ununterbrochen zu meiner Herkunft
aus und boxte mich leicht in die Schulter. Ich wollte und wollte auf keinen
Fall auf seine Fragen reagieren. Doch irgendwann gab ich ihm dann doch Antwort:
‚Ich lernte Deutsch in Deutschland. Ich war auch dort in der
Reichskristallnacht.’ Daraufhin schwieg er, denn nun wusste er, dass ich gesehen
und erlebt hatte, was wirklich passiert war.
Ein anderes Mal saß ich neben
Albert Kesselring. Ich war im Krieg nur ein kleiner Gefreiter gewesen und saß
nun als Dolmetscher neben diesem großen General. Als ich ihm von meiner
jüdischen Herkunft erzählte, meinte er nur: ‚Das muss jetzt ja eine Genugtuung
für Sie sein, zu einem solchen Zeitpunkt hier zu sein.’ Ich antwortete ihm nur
kurz: ‚Ja, Herr Generalfeldmarschall.’“
***
Susanna und Felix Yokel - der lange Weg hat sie nach Washington
verschlagen, doch ihre Herzen schlagen auch für Österreich[20]
Im Laufe meiner Dienstzeit in Washington ist mir die
Familie Yokel ganz besonders ans Herz gewachsen. Zusammen mit Susanna und Felix
und den Rest der großen Familie durfte ich verschiedene Feste feiern und viele
schöne gemeinsame Momente in kostbarer Erinnerung behalten.
Am Samstag den 23. April wurde
ich von Susanna und Felix eingeladen, um gemeinsam mit ihnen Pesach (Passover) zu feiern! In diesem Frühling sind mehrere Regenstürme über
die Stadt gezogen, das viele Wasser kam sogar durch die Decke in meiner Wohnung das mir einige Kopfzerbrechen, verbunden mit den
Reparaturarbeiten, bereitete. Mit der grünen Metrolinie fuhr ich nach Greenbelt,
von wo mich Felix dann abholte, um gemeinsam zu Uris Haus zu fahren. Ich hatte
das traditionelle Mazza[21]
und Koscheren Wein mitgebracht. Die ganze Familie war eingeladen: die Tochter
und die Enkelin aus Florida und der Sohn mit seiner Familie aus Ohio. Ich fühlte mich sehr geehrt,
dass auch ich an diesem traditionellen Familienfest teilnehmen durfte. Ich
konnte an diesem Abend die Bräuche kennenlernen und mein Verständnis über die
jüdische Kultur erweitern - es war ein großartiges Erlebnis.
Ich habe auch meinen Nachfolger Christian mit der Familie
Yokel bekannt gemacht. Sie sind gute Freunde der Gedenkdiener in Washington
seit mehreren Jahren und ich hoffe sehr, dass Susanna und Felix auch in
Österreich zu Besuch kommen werden, denn der Abschied von ihnen fiel mir sehr
schwer.
Laa an der Thaya, ist eine kleine Stadt an der Grenze zur
Tschechischen Republik und ist etwa 50 Kilometer nördlich von Wien entfernt.
Die Stadt beheimatet 4500 Bürger und ist die Heimatstadt vom Felix Yokel, der
hier aufwuchs und bis zum Zeitpunkt des Anschlusses hier auch zur Schule ging.
Felix Yokel ist in der Nazizeit im April 1938 aus Laa an
der Thaya, Österreich, vorerst nach
Prag in die heutige Tschechische Republik ausgereist, wo er weiterhin zur
Schule ging.
Von dort aus ist er 1939 mit einer Jugendgruppe nach Palästina
zu einem Kibbuz[22] in Afiqim ins Jordantal
ausgewandert. Susanna hatte sich in Wien derselben Jugendgruppe angeschlossen,
und so lernten sie einander kennen.
Heute lebt die Familie Yokel in Bethesda im Bundesstaat
Maryland, USA. Das Ehepaar ist schon seit mehreren Jahren mit den Gedenkdienern
in Washington im Kontakt und begegnet diesen auch stets sehr offenherzig. Über
die schwierige Zeit sprechen Susanna und Felix eher selten, lieber über die
schönen Erinnerungen an Österreich und das heutige Kulturleben dort. Sie
besuchen regelmäßig die zahlreichen Kulturveranstaltungen an der
österreichischen Botschaft in Washington, wo wir uns gelegentlich auch treffen.
Susanna und Felix tragen Österreich noch immer in ihrem
Herzen. Aus diesem Grund haben sie am 19. Juni dieses Jahres, 2005, auf dem
Kirchplatz ihrer Heimatstadt einen
Gedenkstein zur Erinnerung an die vertriebenen und ermordeten Juden errichtet.
Die Planung und Errichtung des Denkmals wurde von Felix’ Sohn Uri Yokel
durchgeführt, der dieses in Zusammenarbeit mit dem Verein Lead Niskor - Verein zum Gedenken an die vertriebenen und ermordeten
österreichischen Juden, errichtete. Der Verein Lead Niskor präsentierte das Mahnmal wider dem Vergessen getöteter
und vertriebener Juden: „Tot ist man erst, wenn man vergessen ist.“ Gegen
dieses Sterben kämpfen die Mitglieder aus dem Verein Lead Niskor seit 14 Jahren. Mit der Errichtung dieses Gedenksteins
haben auch sie ein kleines Zeichen gesetzt, um diesem Ziel näher zukommen.
Gemeinsam mit den jüdischen Familien aus Laa und deren Nachkommen, die aus der
ganzen Welt angereist waren, präsentierten sie das Erinnerungsdenkmal an die
ehemalige jüdische Bevölkerung von Laa. Gegenüber dem Gebäude mit der
ehemaligen Synagoge sind auf dem Mühlviertler Granitstein die 33 Familiennamen
zu lesen. Bei der Wahl des Materials wurde bewusst ein Granitstein aus dem
oberösterreichischen Mühlviertel gewählt, der nur wenige Kilometer von dem
österreichischen Konzentrationslager Mauthausen entfernt - dem Lager, in dem
viele Häftlinge bei der Arbeit im Granitsteinbruch ihr Leben verloren -
abgebaut wurde.
Für viele Juden war erst der Kontakt mit dem Verein Lead Niskor wieder Veranlassung, zurück
nach Laa zu kommen. Zu groß waren bisher die Verletzungen. Bei der Denkmaleröffnung
berichteten Felix Yokel und seine Mitschülerin von damals Kitty Schrott aus
ihren Jugendjahren in Laa. Gemäß Namen und Motto des Vereines „Lead Niskor“ -
„Immerwährendes Gedenken“ appelierte Avschalom Hodik von der israelischen
Kultusgemeinde in Wien aus der Vergangenheit für die Zukunft zu lernen und
verurteilte aktuelle Wortspenden umstrittener Politiker. Bürgermeister Manfred
Fass, der Grund und Fundament für das Denkmal zur Verfügung gestellt hatte,
wollte es als Zeichen dafür sehen, dass man rechtzeitig handeln müsse, um zu
verhindern, dass Greuel wie der Holocaust wieder passieren.
Die Feier klang mit dem Kaddisch, dem jüdischen
Totengebet aus, stilgerecht umrahmt von den „freylichen Klezmorim“ einem
heimischen Ensemble, dass sich mit jüdischer Volksmusik beschäftigt.
Nachtrag:
Am Sonntag den 27. November 2005 ist Felix von uns
gegangen. Ich möchte an Susanna und der ganzen Familie Yokel mein tiefstes
Beileid aussprechen. Die Trauer und der starke Schmerz sitzen tief in meinem
Herzen. Ich werde Felix in ehrenvoller Erinnerung behalten.
***
Von der Geschichte zur Kunst - über die Freundschaft zu Kurt Heinrich und
unserer gemeinsamen Ausstellung
Die Bekanntschaft mit Kurt Heinrich war für mich eine
große kulturelle Bereicherung. Bei unseren Treffen unterhielten wir uns über
Österreich, wie das Leben in Wien damals war und wie es heute ist. Doch außer
Geschichte und Geographie haben wir auch eine andere gemeinsame Leidenschaft
entdeckt - die Kunst.
Kurt Heinrich wurde am
„Die Behörden in
Österreich richteten sich damals nach dem deutschen Recht, mit dem sie sich
noch nicht gut auskannten. Ich wollte ausreisen, erhielt aber nur eine
Freistellung für ein Jahr. Als ich mit dem zuständigen General sprach, betonte
ich, dass ich keine Freistellung, sondern eine unbefristete Ausreisegenehmigung
wollte. Daraufhin forderte der General den Wachposten auf, das Zimmer zu
verlassen und die Tür hinter sich zu schließen. Als ich schließlich mit ihm
allein war, sagte er:
‚Herr Heinrich, Sie sind nicht sehr gescheit. Ich gebe
Ihnen eine Freistellung für ein Jahr, und, wenn Sie erst einmal in Argentinien
sind, können Sie die Nazis gern haben. Und jetzt nehmen Sie dieses Papier,
bevor ich’s mir anders überleg.’
Und so nahm ich es und verließ rasch den Raum.“
So reiste Kurt Heinrich mit seinen Eltern und seiner
Schwester Herta über Umwege von Wien nach Buenos Aires, wo sie am 2. Januar
1939 an Bord der Oceania ankamen. Die politischen und wirtschaftlichen
Verhältnisse unter dem Peron-Regime drängten Kurt und seine Frau Maria Elena
später, aus Buenos Aires in die Vereinigten Staaten auszuwandern. 1965 besuchte
er nach 26 Jahren erstmals wieder seine alte Heimat Österreich.
Von der Ausbildung Chemiker, arbeitete Kurt Heinrich
hauptsächlich für das amerikanische Eichamt (National Bureau of Standards), war
und ist in seiner Freizeit aber auch ein leidenschaftlicher Künstler. Wir haben
uns nicht nur oft über Kunst unterhalten, sondern auch gemeinsam im Garten
seines Hauses gemalt. Daraus sind einige interessante Bilder entstanden, die
wir zusammen mit anderen seiner Werke bei einem Kunstforum in der Saint Thomas
Parish Church in Washington ausstellten.
***
Über den Lauf der Geschichte und die persönliche
Erkenntnis
Beitrag von Kurt Heinrich
Als im Jahre 1492 drei kleine Schiffe unter dem Kommando
von Christoph Columbus in einem neuen Kontinent ankamen, der später Amerika
genannt wurde, öffnete sich ein neues Kapitel der Weltgeschichte.
Ansiedler aus Spanien, Portugal, England und Frankreich,
und in kleinerer Anzahl auch aus anderen Ländern, besiedelten das neu entdeckte
Land. Die ursprünglichen Bewohner wurden überwältigt und dezimiert - mehr durch
ansteckende Krankheiten, gegen die sie keinen Widerstand leisten konnten, als
durch Gewaltmaßnahmen der neuen Herren -, und bald machten sich die neuen
Siedler von der Hoheit der europäischen Mächte unabhängig und gründeten die
Vereinigten Staaten, Kanada und die lateinamerikanischen und karibischen
Republiken. Im 19. und 20. Jahrhundert bewegte sich ein ständiger Strom von
Immigranten - vorwiegend aus Zentral- und Osteuropa - aus wirtschaftlichen und politischen Gründen
nach Amerika. Sie ließen sich vorzugsweise in den Gegenden nieder, die ein
gemäßigtes Klima hatten, und in denen sich große Städte bildeten. Ankömmlinge
aus Deutschland, Italien, Irland und den Ländern Mittel- und Osteuropas - und
die Nachkommen dieser Generation - sind heute in vielen Gebieten des amerikanischen
Kontinents ein wesentlicher Teil der Bevölkerung.
Viele Ankömmlinge kamen nicht weiter als bis nach New
York, wo sie einfach landeten und Slums bildeten, in welchen sie im Elend
lebten. Aber die meisten von ihnen, und hier ganz besonders ihre Kinder,
stiegen in der sozialen Leiter auf, und die Vorurteile der Einheimischen gegen
die Fremdsprechenden, Andersgläubigen und Rassenfremden verminderten sich
graduell. Die Fremdlinge und deren Kinder, die fest daran glaubten, dass sie
den Weg in eine neue Heimat gefunden hatten, wurden überzeugte Patrioten ihres
Wahllandes. Selbst wenn die Anpassung ans neue Milieu mit Schwierigkeiten
verbunden war, verteidigten sie diese Haltung. Sie waren sich sicher, dass ihr
neues Land das beste der Welt war, und sie bestanden auf diesem Glauben, auch
wenn die sozialen Bedingungen nicht ideal waren oder sich selbst Ende des 20.
Jahrhunderts verschlimmerten.
Diese Anpassung war für diejenigen schwieriger, die nicht
freiwillig ins Land gekommen waren, sei es durch Gewalt als Sklaven oder als
politische Flüchtlinge und Verbannte, die hier ihr Heil suchten. Die
Verstimmung über die erzwungene Übersiedlung war maßgebend und beeinflusste
ihre Einstellung und Ansichten.
Nach meinem unfreiwilligen Abschied von Österreich 1938
war es mir möglich, in Argentinien eine friedliche Existenz zu führen und meine
Studien zu verfolgen, während viele meiner alten Freunde und Schulkollegen in
dem furchtbaren Krieg umkamen. Es war mir aber nicht gegeben, mein Glück völlig
anzuerkennen. Ich musste mich ständig an die wundervolle Jugend in Wien
erinnern, die so plötzlich und unerfreulich geendet hatte. In meinen Träumen
und Phantasien nahm das verlorene Paradies immer neue Dimensionen an. Die Donau
schien blauer, die Stadt noch anziehender, und die Berge des Wienerwalds
schienen höher, als sie in der Tat gewesen waren.
Nachdem ich mich aus beruflichen Gründen entschlossen
hatte, von Argentinien in die USA auszuwandern, fiel es mir später leichter,
die Vereinigten Staaten meine neue Heimat zu nennen.
Ich hatte gute Chancen, in der wissenschaftlichen
Forschung Arbeit zu finden, und es gelang mir schließlich auch, eine Stellung
zu bekommen, die meinen beruflichen Ambitionen entsprach.
Ich wurde Vater zweier Kinder und durch mein Familien-
und Berufsleben beschäftigt, merkte ich kaum, dass die Jahre so schnell an mir
vorbeizogen. Ich glaube, dass ich jetzt als älterer Mensch die Geschehnisse
meines Lebens objektiver beurteilen kann.
Aber nach meiner Pensionierung nahmen die Erinnerungen an
die Vergangenheit wieder stark zu: So begann ich, das Leben meiner Vorfahren zu
studieren, sammelte Bücher und Bilder von der alten Heimat, las ihre Literatur,
und lernte, wie man die wohl schmeckenden österreichischen Speisen zubereitet,
die immer meine Lieblingsspeisen waren. Ich konnte sogar Österreich mehrmals
besuchen, was immer mein alter Traum gewesen war.
Es wurde mir aber schmerzlich bewusst, dass der Lauf der
Zeit seine Spuren hinterlassen hatte. Manche Gebäude, mit denen ich vertraut
war, waren verschwunden oder völlig verbaut, und viele Dinge hatten sich
überraschend geändert. Vor allem aber
waren all meine alten Freunde und Schulkameraden im Krieg und der
Zerstörung verschwunden, und die wenigen Verwandten, die ich noch finden
konnte, waren alt und hatten sich sehr verändert. Bald wurde mir klar, dass die
größte Veränderung die meiner selbst war: Ich war nicht mehr der Jugendliche,
der einmal in Wien gelebt hatte. Die Zeit war zu meinem Feind geworden und ihre
Auswirkungen waren unwiderruflich. Manche Veränderungen hatten jedoch auch ihre
guten Seiten.
Bei meinem ersten Besuch Wiens nach dem Kriege fühlte ich
mich nicht behaglich:
Meine neuen Bekannten wollten nicht über unsere
Verbannung reden, nicht über den Krieg und den Holocaust. Mit der Zeit aber
sterben auch unsere Feinde. Die jüngeren Generationen, für die die entsetzlichen
Ereignisse der Vergangenheit nur ein Kapitel der Geschichte sind, haben uns
immer mit Wärme und Freundschaft empfangen. Selbst nach meiner Rückkehr nach
Washington schloss ich auf der österreichischen Botschaft und im
Holocaust-Museum, wo einige junge Österreicher als freiwillige Mitarbeiter
tätig sind, mit dieser Generation neue Freundschaften. Die Kinder meiner
Cousins haben auch dazu beigetragen, mich mit den seltsamen Wendungen meines
Lebens zu versöhnen, die die politischen Stürme Europas im letzten Jahrhundert
verursachten.
IV. Was der Mensch von sich
kennt, ist sein Spiegelbild
In der Nacht auf den 23. Juli ist unsere Straße noch mit
einem kleinen Schrecken davongekommen. Mitten in der Nacht wurde ich von einem starken
Lärm geweckt: Es tobte ein riesiger Sturm.
Ich stand auf, und als ich aus dem Fenster blickte, nahm
ich zuerst gar nicht wahr, was ich da genau sah. Es war, als würde ich durch
das Glas den Schleudergang in der Waschmaschine beobachten. Ich konnte lediglich
erkennen, dass die enormen Wassermassen gegen die Fensterscheiben prallten und
große Mengen Laub und Äste mit sich trugen. Es blitzte und donnerte, als fielen
Bomben auf die Stadt. Es war ein
beängstigendes Schauspiel. Ein paar Minuten später hat es plötzlich aufgehört
und es wurde still. Alles wirkte dann sehr friedlich, was zurückblieb waren die
umgefallenen Bäume mit Spuren von dem Sturm in den Rinden. Ich hatte auch
Angst, doch diesmal hat der Sturm nur die Bäume mit sich gerissen. Am nächsten
Morgen pflanzten wir in der Nachbarschaft neue Bäume. Dieser Sturm war vorbei.
***
Es hat sich vieles ereignet in dieser Zeit, es kam mir
vor als würde sich die Welt schneller bewegen. Es gab viele Anlässe zum Lachen,
aber leider auch viele zum Weinen. Die schockierende Welle aus Nachrichten über
die riesigen Naturkatastrophen und Menschentragödien machte mich nachdenklich.
Manche Freunde kritisierten meine Entscheidung meinen beruflichen Karriereweg
zu unterbrechen, um für vierzehn Monate im Ausland einen Gedenkdienst abzuleisten,
für leichtsinnig. Doch ich habe noch zum damaligen Zeitpunkt das soziale
Engagement für besonders wichtig empfunden und tue dies heute umso mehr.
Wenn ich nur an die schreckliche Tsunami-Welle, die nach
Weihnachten in Asien einschlug und so vielen Menschen das Leben nahm,
zurückdenke. Die vielen Stürme und Hurrikans die in Florida tobten, und an den
Hurrikans Katrina der die Stadt
New Orleans komplett zerstörte und soziale Tragödien auslöste. Die ethnischen
Konflikte in Sudan mit unzähligen Opfern. Und die vier Bomben die am 7.Juli
2005 gegen neun Uhr am morgen die Stadt London erschütterten. All diese
furchtbaren Dinge sind in dieser Zeit passiert. Ich weiß noch, dass ich an
jenem Morgen, als sich das Bombenattentat in London ereignete, an der
englischen Botschaft vorbei fuhr und sah wie sich die vielen Journalisten vor
dem Eingang scharten. Bei diesem Anblick ahnte ich schon, dass etwas passiert
sein musste. Im Museum erfuhr ich dann von den Anschlägen. John vom
Gedenkdienstbüro in Wien, hatte zur Beruhigung eine Email an alle Mitglieder
des Vereins ausgeschickt, in der er uns mitteilte, dass es den Gedenkdienern in
London gut gehe. Aber da waren noch meine vielen Freunde und Bekannte. Ich griff
zum Telefonhörer, die Leitungen waren besetzt, die Verkehrsverbindungen und Kommunikationsmittel waren blockiert. Zwei
Stunden später hatte ich meinen Freund Alex am anderen Ende der Leitung:
Seiner Familie und ihm ging es gut.
In solchen Situationen, wenn sich die Panik schließlich
legt, fange ich immer an, über das Versagen der Gesellschaft nachzudenken.
Damals spürte ich einen starken Schmerz in meinem Körper und Trockenheit in
meiner Kehle. Ich brach beinahe in Tränen aus. Meine Gedanken versetzten mich
in meine Kindheit zurück, in der ich Kosmonaut werden wollte, um ferne Planeten
entdecken und die Menschheit vor dem Bösen beschützen zu können. Doch ich hatte
dabei nie die Gefahr in uns Menschen selbst gesehen.
Ich glaube, dass wir alle im Laufe unseres Lebensweges
eine Spur zeichnen die uns als Persönlichkeiten prägt. Deshalb empfinde ich es
auch für notwendig den Weg gut bedacht und gewissenhaft zu gehen, damit wir uns
zurückzublicken trauen. Was wir von uns selbst und von einander kennen entsteht
aus der Reflektion aus unserem Umfeld das wir mitbeeinflussen. Die Hand sollte
man dann reichen, wenn es notwendig ist und die Menschlichkeit sollte sich als
die treibende Kraft erweisen.
***
Am amerikanischen
Nationalgedenktag - Days of Remembrance
Anlässlich der amerikanischen
Nationalgedenktage wurde am 5. Mai, in der Rotunde des Capitols eine Gedenkzeremonie
veranstaltet, die in Zusammenarbeit mit dem Holocaust Memorial Museum organisiert
wurde. Zum 60sten Jahresjubiläum seit der Befreiung der Konzentrationslager und
der darauffolgenden Gerichtsverfolgung der Nazi Kriegsverbrecher unter
internationalem Recht in Nürnberg, wurde die Zeremonie unter dem Namen „Von der
Befreiung bis zur Rechtsvollstreckung - From Liberation to the Pursuit of
Justice“.
Ich habe mich bei der
Freiwilligengruppe von Kollegen aus dem Museum gemeldet, um mich an den
Vorbereitungen der Veranstaltung zu beteiligen, dadurch ergab sich auch für
mich die Gelegenheit das Senatgebäude auch von innen zu besichtigen, was für
die Öffentlichkeit nur eingeschränkt zu bestimmten Stunden zu betreten war.
Als der Raum eingerichtet war
und die Fernsehkameras aufgestellt wurden, koordinierte ich mit meinen Kollegen
die Sitzordnung der Gäste, unter ihnen auch viele Zeitzeugen aus dem Gedenkdienst-Freundeskreis.
Nachdem alle ihre Plätze eingenommen hatten, wurde in dem menschenüberfüllten
Raum, um
Die Flaggen der Amerikanischen
Befreiungsarmeen[23]
wurden vorgestellt und fünf Gedenkkerzen wurden von Zeitzeugen gezündet, unter
ihnen auch mein Freund und Kollege aus unserer Abteilung am Museum, Gerald
Schwab.
***
Die
Präsidentschaftswahlen 2004 - Eine lange schlaflose Nacht
In
den Wochen vor der Wahl waren die Straßen und Häuser von Werbeplakaten und
Fahnen zugedeckt. Wenn man in alle Richtungen in Washington schaute, würde man
meinen die ganze Stadt wäre sich einig gewesen wen sie zum Präsidenten haben
wollen - John Kerrys Name war an fast jedem Hausfenster und an jeder
Autoglasscheibe zu lesen, die Hauptstadt der USA hatte wohl einen
demokratischen Touch. Es war sehr interessant aus der Nähe zu
betrachten, wie die Präsidentschaftswahlen in diesem Land ablaufen:
Der
Präsident wird durch Wahlmänner (electors) gewählt. In jedem Staat werden so
viele Wahlmänner gewählt, wie der Staat Vertreter in den Kongreß entsendet,
mindestens also drei (zwei Senatoren und mindestens einen Repräsentanten).
Zusammen sind es 538 Wahlmänner, 100 (für die Senatoren), 435 (für die
Mitglieder des Repräsentantenhauses) und drei Wahlmänner für den District of
Columbia, also hier in Washington, die nicht im Kongreß vertreten ist, sondern
als bundeseigener Bezirk der Jurisdiktion des Kongresses unterworfen ist.
Sämtliche
Wahlmännerstimmen eines Staates werden für den Präsidentschaftskandidaten
abgegeben, der die Mehrheit der Stimmen in diesem Staat erhalten hat. Für jeden
Kandidaten ist es wichtig, diejenigen Staaten zu "erobern", die viele
Abgeordnete in das Repräsentantenhaus entsenden und damit viele Wahlmänner
stellen, so Kalifornien mit 54, Texas mit 32, New York mit 33 oder Illinois mit
22. Die Zahlen ändern sich alle zehn Jahre, wenn durch eine nationale
Bevölkerungserhebung Veränderungen in der Einwohnerzahl der Einzelstaaten
festgestellt worden sind.
Im
Fernsehen wurden von mir die Wahlcampagne und das Wahlverfahren detailliert
verfolgt. Das Land brauchte jetzt einen langen Atem, denn es wurde mehrfach
versichert, dass jede Stimme gezählt werden soll. Am Wahltag wurde im
Wohngemeinschaftshaus von meinem Vorgänger Christoph eine Feier organisiert, wo
wir über die Fernsehnachrichten den Verlauf verfolgten. Da das Land mehrere
Zeitzonen umfasst und die einzelnen Bundesstaaten verschieden groß sind,
dauerte auch die Abzählung der Wahlstimmen verschieden lang und die Ergebnisse
kamen Stückchenweise aus allen Richtungen. Auf der politischen Karte im
Nachrichtenkanal blinkte im Stundentakt mal ein roter, mal ein blauer
Bundesstaat auf. Es war schon nach Mitternacht und die Wahl war
noch nicht entschieden. Ich ging nach Hause und verfolgte das Geschehen von
dort aus weiter, jetzt erwarteten wir nur noch den Ausgang in Florida und Ohio.
Ich glaube es war fünf Uhr Früh als das Endergebnis bekannt gemacht wurde.
„Die U.S. Präsidentschaftswahl 2004
wurde von den amtierenden Präsidenten, dem Republikaner George W. Bush,
gewonnen, der seinen Hauptrivalen[24],
den Demokraten John F. Kerry, Senator von Massachusetts, bezwingte. Eine der
Kerndiskussionen war die Kriegsführungsstrategie zur Terrorismusbekämpfung.
Bush setzte sich für die Handlungen seiner Administration ein, wogegen Kerry
disputierte, dass der Krieg inkompetent geführt wurde, und dass der Iraq
Krieg eine Abweichung von dem Krieg
gegen den Terror, und nicht als Teil
davon zu Betrachten sei.
Die Volksabstimmung fand am
Wahltag, den 2. November statt, doch es dauerte bis zum nächsten Tag bis der
Gewinner entschieden worden war. Die Wahl
hing an der Entscheidung in Ohio ab, einem kontroversen stark umkämpften
Bundesstaat. Am nächsten Tag gab sich Kerry in Ohio (im Buckeye State)
geschlagen, und somit auch bei der Präsidentschaftswahl. Das Endergebnis
zeigte 286 Stimmen für Bush, 251 für Kerry, und 1 für Edwards.“[25]
***
Die Holocaust
Gedenkstiftung in Buenos Aires
Visumbedingt musste ich Mitte
März aus den USA ausreisen und ich entschloss mich, statt nach Wien
zurückzufliegen,
meinem Kollegen Johannes in Buenos Aires einen Besuch abzustatten, um auch die
dortige Einsatzstelle kennen zulernen. Ich habe ihm am Tag vor der Abreise eine
Email geschrieben, um uns zum Abendessen zu verabreden. Da es dort üblich ist,
spät Abend zu essen, schlug Johannes vor, den von mir vorgeschlagenen Termin
von acht am Abend auf Mitternacht zu verlegen.
Zu meiner angenehmen Überraschung befand sich das bescheidene
Hotel, in das ich ein Zimmer gebucht hatte, in einer Seitengasse von der Via
Florida, die Hauptfussgängerzone der riesigen Metropole. Nicht weit davon
entfernt, im Herzen der Stadt, in den kleinen Gassen des Viertels San Nicolas, befindet sich die Holocaust
Gedenkstiftung. Nachdem mich Johannes am Abend in die genussvolle argentinische
Küche eingeführt hat und wir ein paar berühmte Rindsteaks verzehrten, machten
wir uns einen Termin für den nächsten Tag aus, damit ich Stiftung besichtige
und seine Kollegen kennen lernen kann. Auch hier kam das Zeitthema auf, denn
ich schlug schon einen Termin um
Als ich am Tag darauf zur Holocaust Gedenkstiftung ging
war diese von der Straße nicht wirklich zu erkennen. Ich betrat die Tür und ein
junger Mann, der hinter einem Tisch saß wie ich ihn aus der Schule kenne,
begegnete mich mit verwunderten Blick, anscheinend war er Besucher nicht
gewohnt. Ich stellte mich vor und bat Johannes anzurufen, um mich abzuholen. In
dem Gebäude waren die Holocaust Gedenkstiftung, ein Shoah Museum und ein Dokumentationszentrum
untergebracht. Wir gingen in die oberen Stockwerke wo mich Johannes allen
vorstellte. Johannes zeigte mir seinen Arbeitsplatz, der ungefähr viermal
größer war als mein Cubical. Besonders gemütlich empfand ich die kleine
Bibliothek die gerade im Entstehen war und auf den Regalen fand ich das Buch
vom USHMM über die derzeit noch laufende Zeitausstellung Deadly Medicin.
Die Bibliothekarin Carolina war davon
begeistert, dass ich Russisch spreche, denn sie studierte es selbst. Im
Gespräch schlug ich vor mich bei unserer Bibliothek am Holocaust
Memorial Museum zu erkundigen, ob es
möglich sein wird Bücher an sie zu stiften, was ich nach meiner Rückkehr auch
tat.
Die Zeit die ich in Buenos
Aires verbrachte war ein netter Ausgleich zu meiner Zeit in Washington. Ich
erfreute mich am kulturellen Leben, ging zur Oper ins Teatro Cologne,
beobachtete mit Begeisterung die Tangovorführungen in Solo Tango und auf
den Straßen von San Telmo, genoss die fabelhaften Gerichte. All diese Dinge
sind für mich in den USA einfach nicht leistbar gewesen. Ja, Buenos Aires ist
sicherlich mehr als eine Reise wert, und es war für mich auch sehr erfrischend
mich mal wieder mit Joha (Johannes) zu treffen.
***
Mein Nachfolger ist
da
Am 12. Juli kam ich am Abend vom Museum zurück und
blickte aus dem Fenster: Mein Nachfolger Christian müsste jeden Augenblick mit
dem Shuttle Bus vom Flughafen kommen. Ich musste deshalb am Fenster warten,
weil unser Haus keine Klingel hat. Ich ging in die Küche, um mir ein Glas
Wasser zu holen, da hörte ich auch schon den Bus vor dem Haus vorfahren. Da stand er nun, mit zwei
vollgestopften Taschen mit dem notwendigsten Gepäck für die nächsten vierzehn
Monate darin. Ich ging hinunter, um ihm beim Tragen zu helfen. Wir sahen uns
zum ersten Mal, da ich im Winter beim Auswahlseminar nicht nach Wien fliegen
konnte. Wir gingen hinauf, damit Christian erstmal sein Gepäck abstellen konnte
und stießen mit einem Bier auf seine Ankunft an.
***
Christian schreibt
über seinen ersten Eindruck
Was kann ich nun nach einem Monat von meinen ersten
Eindrücken aus Washington DC berichten?
Ehrlich gesagt, ist es vielleicht nicht ganz fair, mich nach
meiner Meinung zu fragen, da ich diese Reise möglicherweise unter ganz anderen
Voraussetzungen als meine Kollegen oder Vorgänger angetreten bin. Ich wusste
durch meinen einjährigen Aufenthalt in Barcelona, worauf ich in einem anderen
Land zu achten hatte und in welchen Belangen ich meinen Konsum einschränken
musste, um mein Budget nicht zu sprengen. Darüber hinaus glaubte ich, über die
notwendige Erfahrung und das notwendige Weltwissen zu verfügen und wusste, dass
ich mich durch Respekt und Anpassung in diese andere, „neue“ Kultur
einzugliedern hatte.
Das war die eine Seite dieser geistigen Vorbereitung. Das
war die Stimme des Teufelchens, das auf meiner linken Schulter saß und das sich
gut darauf verstand, mein Gewissen zu beruhigen, so dass ich mir einreden
konnte, mit eben diesem ruhigen Gewissen meine Vorbereitungsarbeiten für den
Gedenkdienst in einem - für mich höchst angenehmen - kleinen Rahmen zu halten.
Das Engelchen auf meiner rechten Schulter sagte mir
jedoch auch immer wieder, dass Amerika bzw. die USA anders waren. So wie es
eben hieß „España es diferente“, musste dies auch auf Amerika zutreffen. Welche
von den beiden Teufelszungen sollte Recht behalten? Würde es wie immer ein
gesunder Ausgleich zwischen beiden Extremen sein?
Was hieß dies für mich?
Ich bin zwar (inzwischen) ein recht organisierter Mensch,
habe aber auch aus Erfahrung gelernt, dass zu viel strategische Planung sehr
oft auch nicht zielführend ist, da sich sehr viele Dinge aus Zufall ergeben,
aus zufälligen Bekanntschaften, durch Menschen, die man einfach so trifft und
mit denen man völlig ungewollt genau auf dieses Thema zu sprechen kommt; auf
dieses eine Thema, das einen schon seit Wochen beschäftigt, und jetzt endlich
eine Antwort, eine Handlung bzw. Vorbereitung erfordern würde. Und dann trifft
man diesen Menschen, der einem einfach so diese Antwort geben kann. Sehr oft
hat sich die bauernschlaue Weisheit „Beim Redn kumman die Leit zsamm“ für mich
tatsächlich als wahr herausgestellt.
Und ich habe diesen Menschen getroffen. Aber das ist
nicht zufällig passiert. Denn der Mensch, der mir hier am meisten geholfen hat,
wartete in Washington bereits auf mich. Er hatte mir erklärt, wohin ich nach
meiner Ankunft am Flughafen gehen musste und wie ich am günstigsten zu meiner
Wohnadresse kommen würde. Er hatte mir noch nach Österreich geschrieben, sich
um die Bereitstellung einer Wohnung zu kümmern und dass ich dem Fahrer des
Shuttlebusses unbedingt Northwest
sagen müsste, weil ich sonst woanders landen würde. Er zog aus seiner eigenen
Wohnung aus, damit ich bequem in diese einziehen konnte, er regelte alle
unangenehmen Angelegenheiten, so dass ich vom ersten Tag an gemütlich in dieser
Wohnung leben konnte. Er führte mich zu allen Geschäften und Einkaufscentern,
damit ich später genau wissen würde, wo ich was am billigsten besorgen könnte,
und genau so persönlich stellte er mich all seinen Bekannten, Freunden und den
Zeitzeugen vor. Er bat im Gegenzug dafür NIE um etwas und bewies wirklich eine
Engelsgeduld, wenn er mir als typisch österreichischem Gelegenheitsphlegmatiker
ein weiteres Mal erklären musste, dass dieses oder jenes besonders lang dauere
oder unbedingt notwendig bzw. besonders pünktlich zu erledigen sei, da wir uns
nun mal in Amerika befänden. Es wurden mir so viele Hilfestellungen gegeben,
dass ich insgeheim anfing, ein schlechtes Gewissen zu bekommen und schon nach
einer Woche heimlich darüber Notizen machte, was ich denn später mal alles für
meinen Nachfolger zu arrangieren hätte. Ich konnte mich schlicht nicht mehr an
alles erinnern.
Ja, der Mensch, der mir hier in Washington ohne Zweifel
am meisten geholfen hat, war mein Vorgänger Stefan. Er hat mit einer
unglaublichen Selbstverständlichkeit so oft Dinge für mich erledigt bzw. mir
bei Dingen geholfen, dass es selbst mir als alten Menschenkenner und
Weltenbummler des öfteren die Sprache verschlagen hatte. Darum sollen diese
ersten Seiten auch eine außerordentliche Danksagung an ihm sein. Wir haben uns
schon nach kurzer Zeit ausgezeichnet verstanden. Gemeinsam haben wir die halbe
Stadt besichtigt und unzählige Flaschen Wein geleert, während wir über
verschiedenste Mentalitäten plauderten. Wir haben zusammen Barbecues und Ausstellungen organisiert. Ich wurde zum
Schreiben und hoffentlich noch zum Fotografieren motiviert. Herzlichen Dank! Du
warst und bist mir wirklich eine große Hilfe!
Was kann ich zu meiner Verteidigung aufbringen: Ich bin
bestimmt niemand, der aufs Geratewohl für längere Zeit in ein Land fährt. Ich
hatte meine Vorbereitungen für Amerika sehr wohl getroffen, aber nicht bis ins
kleinste Detail. Dafür war mir einfach keine Zeit geblieben.
Ich hatte die letzten Monate vor meiner Abreise damit
verbracht, tausende Seiten übersetzungswissenschaftlicher Literatur auswendig
zu lernen, hatte endlich meine Diplomarbeit zu beenden, an der Fachhochschule
regelmäßig einen Spanischkurs abzuhalten und 15 Nachhilfeschüler, die entweder
vor dem Abschlusszeugnis schwitzten oder vor der Reifeprüfung standen, und in
Englisch, Französisch oder Spanisch von mir betreut werden wollten. Ganz
nebenbei war ich noch Lektor für eine Diplomarbeit einer spanischen
Studienkollegin und natürlich auch Mitglied beim Verein GEDENKDIENST, für den
ich dann noch in meiner Freizeit unterwegs war, um Förderungsgelder von
Verwandten und Bekannten aufzubringen, um mir den bevorstehenden Gedenkdienst in Washington
leisten zu können.
Leider hatte ich nicht mehr die Möglichkeit, mich von
allen Freunden zu verabschieden. Das war auch etwas, was mich anfangs noch
stark beschäftigt hatte. Aber es ging vorbei und im 21. Jahrhundert, wie ich zu
sagen pflege, ist es kein Problem mehr, miteinander in Kontakt zu treten.
Schon kurz nach meiner Ankunft stellte mich Stefan im
Museum vor. Mein erster Eindruck war wirklich ein sehr positiver. Ich erinnere
mich noch, dass ich mir dachte, ob ich es wohl schaffen würde, mir alle Namen
meiner Kollegen zu merken. Ich war auch sehr überrascht, als ich den
Arbeitsplatz sah, der auf mich wirklich sehr amerikanisch wirkte, und für mich
ein plattes Klischee erfüllte: das Cubical.
Hier sollen wir nun zwei Monate gemeinsam auf kleinster
Fläche arbeiten, ohne uns irgendwann gewaltigst auf die Nerven zu gehen.
Entweder sind wir beide hervorragende Lügner bzw. Meister im Unterdrücken von
Emotionen oder wir haben uns wirklich so gut verstanden, denn wir haben die
Zeit bisher tatsächlich ohne jegliche Meinungsverschiedenheit überstanden.
Und unser Arbeitsplatz war und ist ohne Zweifel zu klein,
zumal wir sehr viel zu übersetzen, bearbeiten und recherchieren haben und nur
ein Terminal besitzen, was die gemeinsame Arbeit an unseren Projekten um sehr
vieles umständlicher machte.
Die Arbeit im Museum hat mich vom ersten Tag an
begeistert. Sie ist ein interessanter Mix aus vielen Bereichen, an denen ich
besonders interessiert bin: Übersetzungen, wissenschaftliche Forschung und
Bibliotheks- bzw. Archivarbeit. Wenn einem diese sitzende Tätigkeit dann doch
ein bisschen zu bürokratisch wird, hat man jederzeit die Möglichkeit und - was
an einem Arbeitsplatz noch viel wertvoller ist - auch die uneingeschränkte
Erlaubnis, mit den Zeitzeugen etwas zu unternehmen bzw. ihnen einfach einen
Besuch abzustatten. Ja, die fast freie Arbeitsplatzgestaltung bzw. Arbeitszeitgestaltung
ist neben dem Inhalt unserer Arbeit der wohl positivste Aspekt des Gedenkdienstes
am United States Holocaust Memorial
Museum und macht den Job auch so wunderbar abwechslungsreich.
Wenn man genug von den Büchern, Texten und ihren Inhalten
hat - so spannend und lehrreich diese auch sein mögen - und man nicht mehr
einzig übers Internet aus seinem Cubical heraus mit Menschen kommunizieren
möchte, dann bietet einem das Museum z. B. die Alternative, eigene
Projekte mit den Zeitzeugen zu organisieren. Auch Stefan unterstreicht diesen
Faktor über die Freiheit zu verfügen um sich mehr für die Zeitzeugen zu
engagieren immer wieder als einen der angenehmsten Aspekte der Tätigkeit hier
am USHMM. Alles, was ich außerhalb meiner Tätigkeit im
Museum mache, spreche ich mit Dr. Peter Black ab, denn es ist wichtig, ihn auf dem
Laufenden zu halten. Für mich - jemanden, der Jahre lang in der Gastronomie und
als Übersetzer unter Zeitdruck gearbeitet hat - ist das neue Arbeitsumfeld sehr
angenehm.
Und jetzt bin ich gespannt wie es
weiter geht...
V. Reise in dir
Vergangenheit - Rückblicke
Mein Vorgänger
Christoph[26]
Rück- und Ausblick auf
Washington
Wie beschreibt man 14 Monate Gedenkdienst in Washington,
DC? Für mich muss es auf jeden Fall eine sehr vielschichtige Beschreibung sein.
Zu viele Eindrücke und Personen prägen dieses Bild, als dass es darauf eine
klare Antwort gibt. Dies merke ich vor allem, wenn ich diese Zeilen über ein
Jahr nach meiner Rückkehr schreibe und mir bewusst wird, wie vollkommen
unterschiedlich mein Leben heute ohne diese Erfahrungen aussehen würde.
Gewohntes und Ungewohntes
Bei meinem Eintreffen waren meine Erwartungen vor allem
auf die Arbeit konzentriert. Dass meine erste Arbeit nach dem Geschichtestudium
gleich in einem der führenden Holocaust Forschungseinrichtungen sein wird,
hätte ich mir auch nie träumen lassen. „Wird wohl auch nicht so schlecht für
meine Karriere sein“, war einer der Gedanken, muss ich ehrlich zugeben. Ich war
daher entsprechend aufgeregt. Meiner anderen Aufgaben neben der Forschungsarbeit
war ich mir zwar bewusst, doch konnte ich mir unter dem Recherchieren in der
Bibliothek und in den Archiven einfach die besten Vorstellungen machen. Ich
wurde auch nicht enttäuscht. In meinen ersten Wochen konnte ich es manchmal
kaum erwarten nach dem Wochenende zurück zur Arbeit zu gehen (der Enthusiasmus
der ersten Vollzeitarbeit nach sechs Jahren Studium). Es war einfach ein extrem
gutes Gefühl, die im Studium erworbenen Fähigkeiten und Kenntnisse endlich in
der Praxis anwenden zu können. Dazu boten sich in Washington auch ganz andere
Möglichkeiten. Neben dem Museum recherchierte ich im amerikanischen
Nationalarchiv, hauptsächlich in NS-Personalakten (aus den Beständen des Berlin Documentation Center). Doch etwa
auch ein Filmdokument, welches eine Abmusterung einer amerikanischen
Armee-Einheit am 9. Mai 1945 in meiner Heimatstadt Schwanenstadt (einer 4000
Einwohner Stadt mitten in Oberösterreich) zeigt, fand ich in den umfangreichen
Beständen des Archivs. Den Luxus des einfachen und unbeschränkten Zugriffs auf
die Dokumente und Artefakte lernte ich vor allem nach meiner Rückkehr nach
Österreich schätzen, wo der Zugang zu Archiven eindeutig schwieriger ist. In
der Library of Congress, der
umfangreichsten Bibliothek der Welt, arbeitete ich ebenfalls gelegentlich.
Eines meiner größten Projekte bearbeite ich im Zusammenhang mit der Eröffnung
des World War II Memorials im Mai
2004. Das Museum publizierte in diesem Zusammenhang eine Serie von Artikeln
über amerikanische Armee Einheiten, die Konzentrationslager befreit haben.
Meine Aufgabe bestand darin, sämtliche Artikel auf ihre historische Korrektheit
zu überprüfen.
Da war dann aber noch dieser andere „Aufgabenbereich“:
Das Treffen mit österreichischen Holocaust-Überlebenden. Meine bisherigen
Kontakte mit Holocaust-Überlebenden fanden im Rahmen von Zeitzeugengesprächen
statt. Daher habe ich meine Rolle vor allem als Zuhörer gesehen. Dies hat sich
allerdings sehr schnell geändert. Die Gruppe der österreichischen
EmigrantInnen, mit denen sich der jeweilige Gedenkdiener in Washington trifft,
ist wirklich großartig. Man merkt schnell dass die Eingliederung dieser
Tätigkeit unter „Arbeit“ unangebracht ist. Es entwickelten sich Freundschaften,
die aufgrund der unterschiedlichen Lebenserfahrungen und des Altersunterschieds
völlig neu für mich waren. Auch die Rolle des reinen „Zuhörers“ war eine
Missinterpretation. Wir diskutierten viel über aktuelle Themen und scheiterten
an der Frage, ob denn nun die amerikanische oder die österreichische Regierung
bedauernswerter sei. Dazu kamen sehr persönliche Gespräche, vor allem mit
Regina und George, über Jobperspektiven oder private Turbulenzen, die so ein
Auslandsaufenthalt automatisch mit sich brachte.
Rückkehr wider Willen
Die Rückkehr nach Österreich war schlicht ausgedrückt
schrecklich. Ich hatte mich noch nie zuvor so unglücklich und unwohl an einem
Ort gefühlt. Der Abschied aus Washington passierte einfach zu schnell. Statt
dem erhofften Job am Museum hieß es plötzlich Abschied nehmen von vielen neuen
Freunden, Kollegen, Freundin. Stattdessen arbeitslos und single in der
österreichischen Einöde. Glücklicherweise habe ich bald eine interessante
Teilzeitstelle in Wien bekommen, die mich auf andere Gedanken gebracht hat.
Doch der Drang nach dem Ausland blieb zu groß. Bei einer Gedenkdienst
Veranstaltung im Oktober erzählte mir einer meiner Vorgänger in Washington von
ähnlichen Rückkehr-Erfahrungen und versuchte mich aufzumuntern: Nach einigen
deprimierenden Monaten habe er im April nach seiner Rückkehr seine Frau kennen
gelernt. „April ist noch ganz schön lange weg“, denke ich mir. Um mir das
Warten zu erleichtern, fliege ich im Februar auf Urlaub nach Washington. Ich
nehme an einer Konferenz im Museum zum aktuellen Konflikt in Darfur teil,
treffe mich mit Freunden und Kollegen, gehe mit George Mittagessen in unser
Stammlokal Teaism. Der Urlaub hilft
nicht viel hinweg über das Fernweh, doch dann ist er endlich da, der April, in
dem alles besser werden soll.
To be continued…
Ich traf zwar nicht meine zukünftige Frau, wurde aber stattdessen
an einer amerikanischen Universität in Washington (an der auch Regina studiert
hat) für ein zweijähriges Master-Programm angenommen. Da die Uni auch einen
Campus in Bologna hat, darf ich noch ein Jahr nach Italien bevor es zurück nach
Washington geht. Ich studiere Internationale Politik, der Teil meines Studiums
in Wien, der mich mit Abstand am wenigsten interessiert hat. Doch Washington
hat seine Spuren hinterlassen. Zum einen war es einfach die Stadt. Die
Erzählungen über die interessante Arbeit und alles was dazugehört stimmen zwar
alle. Aber das ganze war auch ein sozialer Höhepunkt, und ich war noch nie auf
so vielen Partys in meinem Leben wie in Washington. Es war halt nur sehr
schwer, auf ein Festl in Washington zu gehen, ohne über internationale Politik
zu diskutieren und unglaublich engagierte, begeisterte und kritisch denkende
Leute zu treffen. Zum anderen war es das Museum, und die Rolle, die die
Überlebenden an diesem Ort einnehmen. Ganz gleich wie unterschiedlich die
Geschichten, die ich hier gehört habe auch waren, die Botschaft war immer die
gleiche, und gleich beeindruckend. Und diese Botschaft spiegelt sich auch in
der aktuellen Entwicklung des Museums wider, welches nun in zunehmendem Ausmaß
aktuelle Konflikte thematisiert und auf politische Entscheidungsträger Einfluss
zu nehmen versucht. Die Verantwortung die wir als junge Generation tragen, ganz
gleich ob in den Vereinigten Staaten oder in Österreich, ist es sowohl die
Aufarbeitung der Verbrechen der Nationalsozialisten voranzutreiben wie auch gegen
gegenwärtiges Unrecht auszusprechen, ganz gleich ob dies vor unserer Haustür
oder in einem andern Kontinent stattfindet.
Das U.S. Holocaust Museum bietet diese Möglichkeit und
ich hoffe daher nach meiner Rückkehr nach Washington als Freiwilliger wieder
dort arbeiten zu können.
***
Das USHMM, der
11te September und die Vergangenheitsbewältigung
Beitrag von Roland Engel[27]
Wie vielen meiner Gedenkdienstkollegen in diesem Buch bereits
geschrieben haben ist es keine leichte Aufgabe die vielfältigen Erlebnisse und Erfahrungen als
Gedenkdienstleistender im US Holocaust Museum in wenigen Seiten zusammenzufassen.
Auch für mich haben diese 14 Monate mein Leben von Grund auf verändert und in
der positivsten Auslegung des Begriffes bis heute „auf den Kopf gestellt“:
Ich traf meine Frau Betsy Anthony im Museum und die
tiefen Begegnungen mit Holocaust-Überlebenden und den österreichischen
ZeitzeugInnen waren ein zentraler Bestandteil unseres Beziehungsalltags und
unserer gemeinsamen Arbeit vor Ort. Daneben war die intensive
Auseinandersetzung mit Österreichs Täterrolle während des Nationalsozialismus
durch die Recherchetätigkeit im „Senior Historians Office“, gekoppelt mit
grundlegenden neuen Erkenntnissen über die Nazi-Vergangenheit meiner
Großeltern, ein wesentlicher Baustein unseres
heutigen unter anderem auch beruflichen Umgangs mit dem Thema
„Vergangenheitsbewältigung/Erinnerungsarbeit.“
Die ersten Eindrücke des USHMM
und 9/11
Es brauchte einige Zeit bis ich mich bei über 20 neue
MitarbeiterInnen alleine in unserer Abteilung im Holocaust Memorial Museum
orientiert hatte (für viele im Museum liefen auch wir schlicht als „the
Gedenkdienst“) dazu das ständige Kommen und Gehen der internationalen
„Fellows“, der auf Stipendium eingeladenen Holocaust ExpertInnen, die ob der
Unterschiedlichkeiten ihrer Herkunft und ihrer Spezialisierung immer für
spannende Diskussionen und interessante Begegnungen sorgten. Über die sozialen
Beziehungen spannten sich oft sehr ausgelassene Events und
gemeinsame, oft exzessive Ausgeh-Abende der MuseumsmitarbeiterInnen mit
den Fellows, immer umrahmt mit einen rabenschwarzen Humor, der Außenstehenden
gegenüber immer diskret verschwiegen wurde, eine Art kompensatorisches Ventil,
wie es im Museum so hieß, für die oft emotional belastende Auseinandersetzung
mit der Holocaust-Thematik im Alltag.
Die ersten 2
Monate meiner Tätigkeit waren noch stark
gekennzeichnet durch die Neuorientierung in dieser großen Institution und vor
allem durch die Begegnungen mit österreichischen ZeitzeugInnen, dem sich
zurechtfinden in einer neuen Stadt und natürlich durch die Ereignisse vom
11.September 2001 und deren Folgen.
Ich kann mich noch gut erinnern wie ich am besagten Tag,
gerade als ich das Museum betreten wollte, den gewaltigen Einschlag des
entführten Flugzeugs in das Pentagon hörte, das nicht sehr weit vom Holocaust
Museum entfernt liegt. Nach den ersten erschreckenden Bildern aus dem
Fernsehen, die noch so surreal und so fern wirkten folgte das körperliche
Gefühl des Schocks und der Angst und ich dachte: das ist real und es passiert
jetzt, hier!!
Aus dem Museum strömten Menschenmassen, die bekannten
Gesichter von MitarbeiterInnen, kreidebleich und geschockt, das generelle
Gefühl der Hilflosigkeit. Am beeindruckendsten bleiben aber die Reaktionen der
im Museum arbeiteten Holocaust-Überlebenden in Erinnerung: im Gegensatz zu
vielen anderen waren die meisten besorgt aber gefasst, wieder und wieder hören
wir auf Nachfrage die selben Worte: egal
was noch kommt, wir haben damals schon schlimmere Krisen überstanden/überlebt,
das wichtigste ist das wir alle hier in Sicherheit bleiben und nicht in Panik
geraten. Diese auf so undenkbar schmerzvolle
Erfahrungen beruhende Reaktionen hat in den folgenden Stunden, in denen wir ja
noch nicht wußten ob nicht noch schlimmere Angriffe folgen würden (immerhin
waren wir im Mittelpunkt der Hauptstadt) eine stark beruhigende Wirkung auf
vielen von uns MitarbeiterInnen, und zeigte auf einen ganz andere Weise wie
gegenwärtig auch die emotionale Auseinandersetzung mit dem Thema Holocaust und
der Kontakt und die Beziehungen mit Überlebenden in extremen Situationen sein
kann.
Nach einigen Wochen kehrte jedoch wieder der „Alltag“
ein, ein Alltag der im Holocaust Museum jedoch nie Routine wurde, da die
Gedenkdiensttätigkeit dort von ständigen neuen und in jeder Hinsicht
aufregenden Begegnungen und (Selbst)Erkenntnissen geprägt war.
Wie schon von anderen Gedenkdienstkollegen ihren
Berichten und Peter Black in seinem
Interview erwähnt wurde, liegt der
besondere Reiz der Gedenkdienststelle im USHMM Historians Office darin, dass
unser Chef Peter Black jedem
Gedenkdienstleistenden neben den bereits beschriebenen Recherchetätigkeiten mit
viel Unterstützung die Möglichkeit öffnete die eigenen individuellen
beruflichen Fähigkeiten und Ausbildungen (die meisten von uns schon zw. Mitte
und Ende Zwanzig) einfließen zu lassen. Dazu war Peter Black nicht nur einer der hervorragensten Experten
in der weltweiten Holocaust-Täterforschung, sondern auch wie die Historikerin
Patricia Heberer, aufgrund der fließenden Deutschkenntnisse und der während des
Studiums erworbenen Kulturkenntnisse über den Deutschsprachigen Raum sehr gut
in die Lage sich nicht nur inhaltlich sondern auch psychologisch in die
Situation von Österreichern der 2. und 3 Generation hineinzuversetzen.
Begegnungen mit den Überlebenden
im USHMM
Der bei weitem für mich bedeutendste Anteil meiner
„Tätigkeit“ waren die Begegnungen mit Holocaust-Überlebenden und die
gemeinsamen Auftritte bei Veranstaltungen zum Thema „Reconciliation“
(Dialog/“Wiederversöhnung“).
Begonnen hat alles mit einer Einladung von Betsy Anthony,
der stv. Direktorin des Büros für Überlebendenangelegenheiten, welche die
Vernetzung der in den USA lebenden Überlebenden koordinierte. Durch sie lernte
ich die Organisation „Grandchildren of Holocaust-Survivors“ kennen. In den
ersten gemeinsamen Treffen zeigten sich neben völlig unterschiedlichen Welten
in denen wir aufwuchsen, oft unheimliche Parallelen der eigenen Familien im
Umgang mit dem Thema. Das Schweigen, das sich über die Generationen erstreckte,
die Unklarheit darüber was die Großeltern damals wirklich erlitten bzw. als
Involvierte getan hatten. Die Schuldgefühle unserer Eltern aus völlig
unterschiedlichen Motiven. Dann das Unverständnis der 3. Generation, warum die
wirklichen „heiklen“ Informationen Ihnen gegenüber verschwiegen wurden, und
dass unsere jeweilige Familiengeschichte Teil unserer Sozialisation ist, und
damit auch uns betrifft. Es folgten gemeinsam organisierte Vorträge im Museum
und Einladungen von Überlebenden- Organisationen an der Ostküste und in Florida
über Gedenkdienst und wie es der 3. Generation in Österreich mit ihrer
kollektiven Verantwortung und dem (mangelnden) Umgang ihres
nationalsozialistischen Erbe.
Betsy und ich verliebten uns (ineinander) und durch die
Beziehung, den erwähnten Vorträgen und Dialogen lernte ich viele KZ-Überlebende
kennen, da die meisten mit Betsy eng
befreundet waren. Die ersten Begegnungen waren beiderseitig durch sehr
vorsichtige und behutsame Annährungen
gekennzeichnet: anders als bei den österreichischen ZeitzeugInnen die
seit Jahren mit uns GDL einen engeren Kontakt hielten, stammten die meisten
KZ-Überlebenden aus Polen, der ehemaligen Tschechoslowakei oder den Baltischen
Ländern und hatten oft als einzige ihrer Familien den Holocaust überlebt. Fast
alle hatten seit dem kaum einen
Österreicher oder Deutschen kennengelernt, geschweige je von Gedenkdienst
gehört. Die Vorsicht wich bald einem herzlichen Aufeinanderzugehen (sicher half
auch die Tatsache, dass ich Betsys
Freund war:-) und bald wurden innige Freundschaften daraus. Aus Menschen aus
einer völlig anderen Kultur, einer anderen Muttersprache, einer anderen
Generation, die Opfer meiner Großelterngeneration waren wurden ältere Freunde,
die mich mit ihrer Lebenserfahrung berieten und mit ihrem Humor ansteckten und
von denen ich vor allem „Zuhören“ in einer neuen Dimension erlebte und so
kitschig es klingt, vor allem eines lernte: Dankbarkeit für das was man jetzt
gerade hat.
Mit der Zeit und mit viel respektvoller Behutsamkeit
näherten wir uns auch den „heikleren“ Fragen, die unausgesprochen zwischen uns
lagen: wie gehst du mit der Tatsache um, dass ich Überlebender/bzw. 3.Generation aus einem
Täterland bin? Wie geht es Juden in Österreich heute und wie steht deine
Generation wirklich zum Thema Vergangenheitsbewältigung?
Welche „Bilder“ hast
du von Juden bzw. von Österreichern/Deutschen?
Und natürlich auch:
Und was haben deine Eltern
damals gemacht?
Diese Frage wurde auch während der Vorträge und der
gemeinsamen Dialogprojekte immer wieder gestellt. Die Auseinandersetzung mit
der eigenen Familiengeschichte war während der Gedenkdienstvorbereitungen immer
wieder Thema, aber kaum jemand sprach öffentlich über Details, vor allem wenn
man aus einer Familie mit eindeutigem Nazi-Hintergrund stammte.
Meine Familie entsprach der typischen österreichischen
Sozialisation: der eine Familienteil erlebte sich eher als Opfer (Großvater war zu alt für die
Wehrmacht, Großmutter entging als Engländerin
gewaltsame Gestapo-Verhöre). Das war ein für mich bis dato ein
„bequemer“ Hintergrund für ein selbstgerechtes Familienverständnis, der Blick
auf die Mitläufer und Täter von damals lief unter dem Motto: „wie konnten die
nur.“
Der andere Großelternteil verschwimmt im Nebel der
kollektiven Familienamnesie, später wird klarer dass es um etwas anderes geht:
das verschämte Schweigen als Produkt des mangelnden Umgangs mit der Frage: wie
konnte der so als liebevoller und „menschlich“ bekannte Vater/Großvater
gleichzeitig so ein glühender Nazi mit so einem tief unhinterfragten
verankerten Antisemitismus sein?
Ich gehe einer Empfehlung nach und finde die NSDAP-Akte
der Großeltern im Nationalarchiv in Washington, DC. Es war ein surrealer
Augenblick, ein unerwarteter Schock, durch das Mikroskop im Mikrofilm das Antragformular der NSDAP
Mitgliedschaft beider Großeltern aus dem Jahr 1938 zu finden, mit einer
Anmerkung das es sich um verdiente „illegale“ Nazis mit Leitungspositionen seit
1932 handelte. Daneben die Akte des Großonkels, SS- Unterscharführer und
Propagandasprecher des Gaus.
Damit wurde aus der eigenen Erfahrung auch klarer warum
in so vielen Familien geschwiegen wird. Aus späteren Gesprächen mit anderen aus
der 3. Generation, die unter anderem
viel mehr involvierte Großeltern hatten ergibt sich immer wieder dasselbe
Szenario: der Schock, dass das Bild vom liebevollen und oft „weisen“ Opa nicht deren
tatsächliche Rolle in der damaligen Zeit entspricht. Die Schamgefühle der
2.Generation und dem daraus resultierenden Schweigen. Ein letztes
Telefongespräch mit der besagten Großmutter vor ihrem Tod: sie ist froh, dass
ich Gedenkdienst mache, da es „etwas von dem wiedergutmacht, wo wir selbst
auch, zumindest ideologisch, mitbeteiligt waren.“ Ich rang damals mit den
widersprüchlichen Gefühlen zwischen völliger Ablehnung und Unverständnis („wie
konntet ihr nur...“) der Wut über das Schweigen und Berührtheit über diese
letzten Worte.
Die oft allgemein rhetorische gestellte große Frage
bekommt durch das genauere Wissen der Lebensumstände der Familie eine andere,
neue Relevanz: hätte ich damals in ihren Schuhen in dieser Zeit den Mut gehabt
anders zu sein, gegen den Strom zu schwimmen, Widerstand zu leisten? Ich hoffe
es, ich werde es nie wissen, aber wie leicht lässt sich das aus heutiger Sicht
sagen?
Die Erkenntnis, dass sich dem Anpassungsdruck zu beugen
niemals eine Alternative zu Zivilcourage sein
kann, scheint allerdings oft im Augenblick des Tuns die größte
Herausforderung zu sein, damals wie heute. Und genau das macht das Thema so
zeitlos und aktuell.
Um so größer die Achtung vor denjenigen die damals trotz
der oft bestehenden Gefahren doch nicht
mit gelaufen sind, die Menschlichkeit gezeigt haben, Menschen gerettet haben
und Widerstand gezeigt haben.
Vor dieser persönlichen Auseinandersetzung mit der
eigenen Familiengeschichte und deren Bedeutung für die kollektive Sozialisation
eines Landes, philosophierte ich gerne
sehr abgehoben und locker über die gesellschaftspolitischen und soziologischen
Auswirkungen der mangelnden österreichischen Vergangenheitsbewältigung. Seit
dem wird für mich aus eigener Erfahrung klarer:
das eigentliche „Bewältigen“ und offene Reden über unserer
NS-Vergangenheit beginnt für die meisten
von uns ÖsterrecherInnen erst in den
eigenen Familien, dort wo die Auseinandersetzungen darüber und auch die
kollektive Sprachlosigkeit unter die
Haut gehen und an den Grundfesten überlieferter Familienbilder und Einstellung
rüttelt.
Vier Jahre später
leben Betsy und ich verheiratet in Wien
und leiten gemeinsam mit unserer Kollegin Dr. Susanne Ogris, der Leiterin der
Anne Kohn-Feuermann Tagestätte regelmäßig Workshops und Vorträge sowie die Jüdisch-Österreichische
Dialoggruppe des Jüdischen Instituts für Erwachsenenbildung zum Thema
Erinnerungsarbeit/Vergangenheitsbewältigungen und Dialog zwischen den
Generationen.
Das Jahr als Gedenkdienstleistender im USHMM war sicher mein wichtigstes und bedeutendstes
Jahr bisher, vor allem Dank der tollen Betreuung von Peter Black, Patricia
Heberer, Gerry Schwab, Martin Goldman und den KollegInnen im Center, der Inspiration von Ari Roth, und den
herzlichen Beziehungen zu den
österreichischen ZeitzeugInnen, vor allem möchte ich an dieser Stelle Leo
Brettholz, George Czuchka, Melita Rodek, Kurt Grübler, Regina Espenshade,
Shoshana und dem leider viel zu früh verstorbenen Felix Yokel und „last but not least“ meiner „Bobbe“ Flora
Singer und den Holocaust-Überlebenden des USHMM danken.
***
Beitrag Roman
Kopetzky, USHMM
Gedenkdienstleistender (1999 / 2000)
Auf der Auswahlkonferenz des Vereins Gedenkdienst im
Dezember 2005 sprach mich Stefan Stoev zu seinem Buchprojekt über seine Zeit am
USHMM an und fragte, ob ich einen Beitrag dazu leisten möchte. Ich freute mich
doppelt, da ich zum einen die Gelegenheit erhielt, Stefan endlich persönlich
kennenzulernen und zum anderen seine phantastische Idee, dieses Buch zu
verwirklichen, unterstützen wollte.
Sechs Jahre ist bereits her. Vor sechs Jahren war ich als
sechster Gedenkdienstleistender am USHMM in Washington. Auf der unlängst
beendeten Auswahlkonferenz des Vereins hatten wir gerade den 13. Intern für das
Museum ausgewählt.
Bei dem Gedanken an einen möglichen Beitrag für dieses
Buch fiel mir immer wieder eine ganz spezielle Anfrage ein, die ich im Rahmen
meiner historischen Recherchen am Center for Advanced Holocaust Studies
beantwortet hatte. Sie wird mir immer in Erinnerung bleiben, sie hat mir im
wahrsten Sinn des Wortes die Augen geöffnet.
In meinem dritten Tätigkeitsbericht an das
Innenministerium findet sich dazu „nur“ der folgende Eintrag:
Erstellen eines ausführlichen
Berichtes zu Masha Bruskina, einer jüdischen, weiß-russischen
Widerstandskämpferin, die am 26. Oktober 1941 in Minsk erhängt worden ist und
von deren Exekution zahlreiche Bilder existieren
Es war Ende Mai 2000 und begann mit einer Anfrage zum
Namen Masha Bruskina und was das Museum alles dazu wusste. Mir war der Name zum
damaligen Zeitpunkt kein Begriff und so begab ich mich ins Archiv auf die
Suche.
Nach wenigen Stunden war klar, dass es sich um eine
weißrussische, jüdische Widerstandskämpferin handelte. Sie verhalf vorwiegend
sowjetischen Offizieren mit zivilen Kleidungsstücken und gefälschten Papieren
in einem Kriegsgefangenenlager zur Flucht.
Nach ihrer Verhaftung verriet sie trotz schwerer
Folterungen nichts. In den Straßen von Minsk wurde sie gemeinsam mit anderen
Widerstandskämpfern mit einem Schild „Wir sind Partisanen, die deutsche
Soldaten erschossen haben“ an den Pranger gestellt. Im Oktober 1941 wurde sie
dort, so wie viele andere Widerstandskämpfer, am Galgen ermordet.
Ihr Fall war insbesondere speziell, da die weißrussischen
Behörden sich lange Jahre weigerten, sie als Widerstandskämpferin anzuerkennen.
In Historikerkreisen wurde vermutet, dass dies damit zusammenhing, dass sie
Jüdin war und dieser Umstand mit den Zielen der ehemaligen Sowjetunion und
ihrer Deklaration als Widerstandskämpferin nicht vereinbar war.
Nachdem die Zusammenhänge einigermaßen klar waren, die
Quellen identifiziert, bestätigt und ausgehoben, war nur noch eines zu tun. Es
war oft beschrieben worden, dass es von den Ermordungen am Galgen viele Photos
geben sollte.
So führte mich mein nächster Weg ins Photo-Archiv des
Museums, mit über 65.000 Bildern im Zusammenhang mit dem Holocaust. Mir war
eigenartig bang ums Herz, da ich nicht wusste, was mich erwarten würde, aber
eine düstere Ahnung hatte ich bereits.
In den elektronischen Katalogen versuchte ich alle
Buchstabenkombinationen zu ihrem Namen und den anderen Menschen, die gemeinsam
mit ihr am Galgen ermordet worden waren und stieß auf einige Referenzen.
Die Photos sind in großen Mappen organisiert und mit der
entsprechenden Katalogzahl findet man die jeweiligen Einträge. Nichtsahnend
ging ich mit meinen Katalogzahlen zu den entsprechenden Bänden und fing zu
suchen an.
Dabei war es unumgänglich, durch die anderen Photos
durchzublättern, bis ich an die gesuchte Stelle kam.
Und was ich dabei zu sehen bekam, ließ mir den Atem und
beinahe mein Herz stocken: Unzählige Bilder von Exekutionen, peinlich genau
dokumentiert, Erschießungen, Massengräber, Leichengräben gefüllt mit
menschlichen Leibern, Menschen, die davor knieten, die Hände über den Kopf
gefaltet hielten und auf den tödlichen Schuss warteten…
es war grauenhaft … unbeschreiblich…
Ursprünglich hatte ich nur vorgehabt, die Bilder zu Masha
Bruskina zu finden, jetzt war ich aber mitten drinnen, und mit abgrundtiefem
Ekel und gleichzeitig einer tödlichen Faszination, konnte ich nicht umhin, als
immer weiter zu blättern…
Irgendwann, ich weiß nicht mehr, wie lange es gedauert
hatte, hörte ich auf. Ich hatte die gesuchten Bilder gefunden, und jeden Band,
in dem eines vorkam, durchgeblättert.
Ich war in meinem Innersten für lange Augenblicke taub,
unempfindlich, grau geworden. Grau, wie die schwarz-weißen Photos, die mit
unerbittlicher Schärfe den Alltag des Wahnsinns dokumentierten.
Am frühen Abend packte ich noch völlig benommen meine
Sachen, verlor so gut wie kein Wort mehr zu Hause und fiel in einen erlösenden
Schlaf, durchsetzt mit Bildfetzen aus dem Archiv.
Für mich war das eine der wertvollsten und gleichzeitig
schlimmsten Erfahrungen, da ich für mich angefangen hatte zu verstehen, wie
zerbrechlich ein menschliches Leben ist, wie leicht es ausgelöscht werden kann
und wie viele Male ein einzigartiger Mensch mit seinen Träumen, Freuden,
Hoffnungen, Kindern, Familien, Freunden, Ängsten und Zielen in der Geschichte
des Holocaust ermordet worden war.
Diese direkte Konfrontation mit so vielen Schicksalen
einzelner Menschen, dokumentiert und erhalten bis zum heutigen Tag, ließ mich
noch besser erahnen, was Menschsein bedeutet und anrichten kann - wie wertvoll
und gleichzeitig empfindlich das Geschenk des Lebens ist. Und für diese
Erfahrung bin ich sehr dankbar. Ohne die Möglichkeit, den Gedenkdienst zu
machen, ohne die vielen engagierten Leute im Verein, ohne die einzigartige
Einrichtung des USHMM Museum und den Menschen, die dort konzentriert und teils
freiwillig das Andenken und die Erinnerung bewahren, hätte ich das in dieser
Form nicht erleben können.
***
Anton Legerer[28] - Erster Gedenkdiener in Washington
Der Besuch einer alten Dame und
ihre Bedeutung
Bald nach meinem Dienstbeginn als Gedenkdienstleistender
im U.S. Holocaust Memorial Museum (USHMM) in Washington, D.C. im Oktober 1993
wurde ich von einem Kollegen zum Auskunftsschalter der Bibliothek geholt. Dort
erwartete mich Helen Otley, mittelgroß, schlank und 82 Jahre alt, wie ich
später von ihr erfahren habe. Sie hatte nach mir gefragt und mich holen lassen.
„Ich wollte mir den Österreicher hier einmal anschaun“, sagte sie bei dieser
ersten Begegnung unverblümt. Im Nachrichtenblatt des Pressedienstes der
österreichischen Botschaft hatte sie kurz zuvor von der Ankunft des ersten
Gedenkdienstleistenden im USHMM gelesen, und war als erste einer Reihe von
vormals verfolgten ÖsterreicherInnen zu mir in die Forschungsabteilung des
Museums gekommen. Die kurze gegenseitige Befragung mündete in eine Einladung
durch Helen Otley in ihr Haus in den Washingtoner Vorort Rockville. Von da an
war ich regelmäßiger Gast im Hause Otley und besuchte sie etwa einmal im Monat.
„Besuch einer alten Dame“ habe ich diese erste Begegnung
in einem Beitrag für das Presse Spectrum genannt, in dem ich von meiner
Begegnung mit ihr und von ihrer Lebensgeschichte erzählte. Helen Otley freute
sich über diesen Titel meiner Kurzgeschichte. Mit der Zeit entwickelte sich
eine tiefe Freundschaft, obwohl die Besuche eine Herausforderung bedeuteten,
nicht nur, weil sie immer länger dauerten als im Voraus geplant. Helen Otley
hatte ein breites Interessensspektrum und bereitete sich auf meine Besuche mit
Literatur und Spickzettel vor. Wenn ich bei ihren raschen Themenwechsel einmal
nicht mitkam oder eine blamable Wissenslücke offenbarte, machte sie eine
konsternierte bis ungeduldige Miene. Nichtsdestotrotz bot sie mir bald das
Du-Wort an, und von da an duzten wir einander. Nach meiner Rückkehr nach Wien
im Oktober 1994 telefonierten Helli und ich in unregelmäßigen Abständen -
meistens rief sie an, immer mit einer Liste von Themen in ihrer Hand, damit
nichts zu besprechen vergessen würde, und auch damit die Telefonate nicht zu
lang und zu teuer würden. Helli lebte nämlich sparsam, weil sie ihr Vermögen
sozialliberalen NGOs (United Farm Workers of America, Amnesty International,
Southern Poverty Law Center) möglichst ungeschmälert hinterlassen wollte. Sie
verstand sich mehr als Verwalterin fremden Vermögens denn als
Verfügungsberechtigte. Wien besuchte sie zum letzten Mal 1995 - bei dieser
Gelegenheit habe ich Helli auch zum letzten Mal gesehen. Über Heimo Gruber
(Autor von „Bücher aus dem Schutt“ über die Situation der städtischen
Bibliotheken nach 1945), der über meinen Spectrum-Artikel Helen Otley als
frühere Mitarbeiterin der Städtischen Bibliotheken in Wien wieder erkannte, wurde
eine Veranstaltung in der von Helen Otley vormals geleiteten Bücherei in der
Weimarerstraße organisiert, bei der sie ihr Buch („Wien, Auschwitz, Maryland“,
erschienen 1995 im Verlag Haag und Herchen, Frankfurt/Main) vorstellte.
Helen Otley war eine komplexe Persönlichkeit, eine
musisch begabte Naturwissenschaftlerin, die beispielsweise einen Zufall als
„Zusammentreffen von Ereignissen, für die unseres Wissens keine Korrelation
besteht“ definierte (S. 47 in Helen Otley: „Wieder einmal Menschen werden“,
1995, Verlag Haag und Herchen, Frankfurt). Unsere Zeremonie des gemeinsamen
Teetrinkens leitete sie mit Ausführungen über eine physikalische Optimierung
zur Erlangung und möglichst langen Bewahrung der optimalen Trinktemperatur ein
(praktisch habe ich das nie verstanden; gemerkt habe ich mir, dass sich die
Theorie sich auf das Ausnützen von unterschiedlichen Temperaturdifferenzen
bezog). Auch nach ihrem unerwarteten Tod am 13. Jänner 2003 - sie war in ihrem
Zuhause in Rockville friedlich eingeschlafen - lässt sich Person und Schicksal
der am 13. Oktober 1911 in Wien geborenen Helene Schlesinger mit den bekannten
Stereotypen nur unzulänglich fassen: nach dem „Anschluss“ Österreichs an das
Deutsche Reich verließ Helene Schlesinger im Jänner 1939 Wien - um nach Berlin
und später weiter nach Dresden zu ziehen, wo sie Arbeitsstellen als Physikerin
fand. Dabei hatte sie mit den Nazis, jedenfalls weltanschaulich, nichts zu
schaffen. Es war der Verlust vieler FreundInnen, die aus Wien ausgewandert
waren bzw. auswandern konnten, und wirtschaftliche Notwendigkeit, weil Vaters
(Moritz Schlesinger: Das verlorene Paradies. Ein improvisiertes Leben in Wien
um 1900, Picus Verlag 1993) Bahnbeamtenpension nicht ausreichte, vier Personen
zu ernähren, die sie nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich
zunächst in die Reichshauptstadt Berlin und dann nach Dresden ziehen ließen.
Kurz vor ihrer Rückkehr nach Wien, wo sie eine Stelle bei der
Siemensniederlassung antreten sollte, wurde sie im September 1942 verhaftet -
weil sie in Berlin Kontakt zu einer kommunistischen Gruppe gehabt hatte, die
von den Nationalsozialistischen entdeckt worden war, und deren Mitglieder
verfolgt wurden.
Nun, erneut schwer fassbar: Helene Schlesinger war keine
Kommunistin, sie verstand sich zeit ihres Lebens als Sozialdemokratin, und sie
verabscheute revolutionäre Gewaltfantasien, und wären es solche von links. Nach
zweimonatigen Verhören wird sie nach Auschwitz deportiert, wo sie bis März 1943
festgehalten wird, dabei nur knapp dem Tod durch Fieber und Entkräftung
entkommt. Ihre Nummer war 26022. Helene Schlesinger war keine Jüdin - ‚nur’ der
Großvater väterlicherseits war Jude (der Wiener Journalist und Bühnenautor
Sigmund Schlesinger). Ihre Überstellung aus dem Konzentrationslager Auschwitz
wurde aufgrund des Gerichtsverfahrens wegen Beteiligung an der „Vorbereitung
zum Hochverrat“ veranlasst, das sie nun in Berlin-Moabit erwartete, und das ihr
paradoxerweise das Leben rettete. Vom rechtlosen
Konzentrations-/Vernichtungslager Auschwitz kehrte sie zurück ins ‚reguläre’
Justizsystem des Deutschen Reiches. Als kleiner Fisch im Hochverratsprozess
wird sie zu zweieinhalbjähriger Gefängnisstrafe ‚verurteilt’, am 2. März 1945,
kurz vor Ablauf ihrer ‚Strafe’ wird sie entlassen, und Helene Schlesinger fährt
zurück nach Wien, zu ihren Eltern in die Fenzlgasse 22 im Wiener Bezirk
Rudolfsheim-Fünfhaus.
In Wien versuchte Helene Schlesinger an die Vorkriegszeit
anzuknüpfen, und sie beteiligte sich an der sozialdemokratischen
Bildungsarbeit, unter anderem schrieb sie für die Arbeiterzeitung,
verfasste das politisches Theaterspiel „Eulenspiegel in Wien“ und war
Personalvertreterin. So richtig Fuß fassen, so ließ sie es in ihren Erzählungen
immer wieder durchblicken, konnte sie aber nicht mehr. Ihr Bruder war im Krieg
gefallen, ebenso viele Freunde, eine Arbeitsstelle als Physikerin - sie hatte
1937 in Wien in Physik promoviert - war nicht zu bekommen. 1946 begann sie bei
den Wiener Städtischen Büchereien zu arbeiten. Sie leitete die Zweigstelle
Weimarer Straße und ab 1953 die damalige Bücherei Stumpergasse. 1955 wechselte
sie als Mathematikerin in das Statistische Amt der Stadt Wien. Schon 1951 hatte
sie ihren Bibliothekarskollegen Karl Beck geheiratet, der aber schon 1960
verstarb.
Nach Karl Becks Tod nahm sie einen regen Briefwechsel mit
einem jüdischen Jugendfreund - Kurt Österreich, der in die USA entkommen
konnte, wo er seinen Namen in Otley änderte, und dessen erste Frau ebenfalls
bereits verstorben war - auf, der 1962 zur Eheschließung mit Kurt Otley und zu
ihrer Übersiedelung nach Rockville-Maryland führte. Helen Otley wurde Hausfrau,
was ihr gar nicht recht behagte, wie in den Erzählungen durchklang. Ab und zu
veröffentlichte sie Reiseberichte in der Gewerkschaftszeitung in Österreich.
Trotz dieses von Ehemann Kurt erzwungenen Hausfrauendaseins - „Er wollte immer,
dass ich für ihn da war, wenn er nach Hause kam“, vertraute mir Helli einmal an
- und trotz ihrer Wien- und Österreichnostalgie war sie in ihrer neuen Heimat
glücklich. Sie war Spätexilantin, eine Spätvertriebene, eine Überlebende von
Auschwitz, die das Nachkriegsleben in Wien nicht mehr so recht verkraften
konnte, die nicht mehr anschließen konnte an die zerstörte Welt der
Zwischenkriegszeit.
Für Helli waren unsere Begegnungen - ebenso wie die
erwähnten späteren Telefonate - wohl ein wenig Kompensation für unerfüllte
nostalgische Erinnerungen. Das gilt übrigens auch für alle meine
Gedenkdienst-‚Nachfolger’, die Kontakt mit Helli hatten. Wir kompensierten wohl
auch ein wenig die aufgrund seiner Krankheit nicht mehr möglichen Gespräche mit
Ehemann Kurt, der, wenn ich mich recht erinnere, schon 1995 verstarb, die letzten
Jahre seines Lebens nicht mehr ansprechbar und bettlägrig war. Unsere
Begegnungen ermutigten Helen Otley zur bereits angeführten Veröffentlichung
ihrer Lebensgeschichte, nicht zuletzt war das Gedenkdienst-Netzwerk an der
‚Geschichtsaufarbeitung’ beteiligt: der im Archiv des Museums Auschwitz zur
gleichen Zeit wie ich in Washington, D.C. Gedenkdienst leistende Daniel Werner
besorgte die ‚Häftlingsfotos’ und historische Daten der Einlieferung und
Entlassung. Auch von Lena Gitter, einer Montessori-Pädagogin, habe ich
erfahren, dass unsere Begegnungen - sie lud mich stets zum Abendessen an ihren
deutschsprachigen Tisch im Chevy Chase Altersheim ein - Anregung dafür war,
dass sie ihre Lebensgeschichte einem Journalisten erzählte („Das große Glück
der Lena Lieber Rosenblatt-Gitter, 1996 Styria Verlag, Graz).
Für mich selbst war die Begegnung mit Helen Otley, die
ich hier stellvertretend für zahlreichen Begegnungen mit anderen aus
Österreich, zumeist aus Wien stammenden Überlebenden aus Ausgangs- und
Mittelpunkt heranziehe, aus mehreren Gründen von zentraler Bedeutung: für mich
persönlich, weil ich damit fehlende, bislang vorenthaltene Mosaiksteine in der
mir vermittelten österreichischen Zeitgeschichte vermittelt erhielt. Diese
‚Vermittlungsarbeit’ durch Überlebende wie Helli Otley ging weit über die
zumeist sogar verschwiegene oder abgekürzt erzählte Leidenserfahrung der
Verfolgung durch die Nationalsozialisten hinaus. Ausgerechnet von Überlebenden
habe ich eine Idee vom jüdischen wie nichtjüdischen Alltag im Wien der
Zwischenkriegszeit bekommen, wie sie in literarischer Form bei Ruth Klüger („weiter
leben - eine Jugend“, erschienen 1992 in Göttingen, Wallsteinverlag) ebenso
eindrücklich geschildert ist, und wie sie vor Ort auch in Ansätzen nicht
rekonstruierbar war. Dass ich dieses Wissen nicht in den renommierten Privatschulen
der Schulbrüder oder der Marianisten, in die mich meine Eltern schickten, und
auch nicht in der öffentlichen Schule der weiterführenden Schule vermittelt
erhielt, erkläre ich mir durch die soziologische Zäsur: Der Verlust und der -
von den ‚übrig gebliebenen’ selbst verschuldete - ‚Aderlass’ der 1930er und
1940er Jahre waren wohl zu groß und mussten deshalb bis lange in die 1990er
Jahre verleugnet und verschwiegen werden. Nicht nur aus Pflichterfüllung (Waldheim)
oder Bosheit (Haider) sondern auch aus Unfähigkeit war der realisierte
Tabubruch der nationalsozialistischen Vernichtungsprogramme tabu. Am
signifikantesten in der Begegnung mit Überlebenden ist deshalb das Fehlen des
Tabus, nicht immer auf der Ebene des Einzelnen - wer auch möchte schon das
Trauma der Demütigung bis hin zur Todesangst immer wieder thematisieren und
verbalisieren? Mit der Aufhebung des Tabus konnte ich für mich eine Lücke
schließen: Mein Empfinden des vielfachen Verlustes - an bloßem Geschichtswissen
anfangs, schließlich an Kultur, an Moral und nicht zuletzt an Humanität -
dieses Empfinden, selbst von einer Gesellschaft gezeugt und aufgezogen worden
zu sein, die so vieler Werte verlustig wurde, und die so selbst zur verlorenen,
wenngleich materiell wohlhabenden, Gesellschaft wurde, trat an die Stelle des
unspezifischen Unbehagens, das mich überhaupt erst den Weg zu Gedenkdienst
einschlagen hat lassen. Das vordergründige Paradoxon eines ‚Gewinnes an
Verlustempfinden’ anstelle eines unspezifischen Unbehagens hat sich als
erkenntnisbringend und konstruktiv erwiesen.
Neben den emotionalen Bindungen, die jede einzelne dieser
Bekanntschaften und Freundschaften in sich birgt und barg, habe ich 1993/94 das
„Potenzial“ der Vertriebenen, der Überlebenden, der Emigranten nicht nur für
mich erkannt, sondern konnte meine Erfahrungen und Erkenntnisse auch in den
Gedenkdienst einbringen. Damit erschließt sich der zweite große
Bedeutungsrahmen: Die Begegnung mit Überlebenden der nationalsozialistischen
Verfolgung wurde Bestandteil des Gedenkdienstes. Neben vielen persönlichen
Beziehungen zwischen Gedenkdienstleistenden und Überlebenden, die etwa meine
‚Nachfolger’ als Gedenkdienstleistende im USHMM weiterführten und ausbauten,
wurde, dank der Bereitschaft der ‚Gedenkdienstler’ zur Auseinandersetzung mit
den Vertriebenen, ein von Gedenkdienstleistenden entwickeltes und seither
betreutes Programm (Austrian Heritage Collection am Leo Baeck Institute in New
York) und die Betreuung von Überlebenden in Bezug auf ihre
Entschädigungsansprüche in die Aktivitäten des Gedenkdienstes aufgenommen.
Ich bin froh, dass ich Hellis Lebensgeschichte in
Österreich publizieren und so nach Wien zurückbringen konnte, dass ich eine
Mitbewohnerin in Washington, D.C, die gerade eine Journalismusausbildung
absolvierte, anregen konnte, über Helen Otley in einer regionalen Zeitung in
Maryland einen Bericht zu veröffentlichen. Ich bin dankbar, dass Helli meine
Familie zu sich eingeladen hatte, als diese mich 1994 in Washington besuchte.
Ich bin traurig über den Verlust von Helli, die mir stets als lebendige,
quirlige, musisch begabte und zugleich naturwissenschaftlichem Denken verpflichtete
Freundin - und als ‚alte Dame’ - in Erinnerung bleiben wird. Helli Otley und
ihr Ehemann Kurt verstarben kinderlos, haben auch keine entfernteren Verwandten
hinterlassen, ein Schicksal, das einige der mir bekannten Vertriebenen
teil(ten). Deswegen ist es mir besonders wichtig, dass ihre Geschichte nicht
ganz verloren geht. Von den vielen anderen Vertriebenen aus meiner Washingtoner
Zeit, von denen mehrere bereits verstorben sind, möchte ich abschließend einige
namentlich anführen: Fred Hift (Journalist, New York, verstorben), Lena Gitter
(Montessori-Pädagogin, Washington, D.C. verstorben), Melita Rodeck
(Architektin, Washington, D.C), Ruth Binder (Washington, D.C.), Kurt N. Grübler
(ein guter Bekannter Helen Otleys, Rockville), Fred Friedman (ursprünglich aus
Salzburg, Anwalt, Clarence), Max (bereits verstorben) und Alix Kowler (Hoteliers,
Tucson), Elizabeth und Ernest Koenig (Elisabeth leitete die Bibliothek im
USHMM, Alexandria), Robert und Maria Bauer (Washington, D.C.) und Hans
Holzapfel (Fairfax). Gemeinsam mit Helli Otley haben sie mir - und anderen
Gedenkdienstleistenden - einen wesentlichen Teil der Geschichte vermittelt. Die
zahlreichen und in vielen Fällen weit über die ‚Gedenkdienstzeit’ hinaus
reichenden Begegnungen haben meinen Gedenkdienst Sinnvoller gemacht und meine
persönliche Entwicklung nachhaltig bereichert.
Eindrücke der
Gedenkdienstleistenden aus den anderen Einsatzstellen
Auschwitz Internationale Jugendbegegnungsstätte
Vlad-Adrian Despa
Hi Stefan,
Die letzten zwei Jahre sind sehr schnell vergangen, ich
kann mich erinnern wie wir im Oktober 2003 am Südbahnhof standen, Richtung
Prag-Terezin, ohne irgendwen aus unserem Jahrgang zu kennen und voller
Erwartungen über unsere Gedenkdienst-Zukunft. Jetzt haben wir Oktober 2005 und
die 14 Monate Gedenkdienst, mit so vielen unvergesslichen Erfahrungen und
bleibenden Eindrücken, liegen hinter uns. Für mich waren es die
beeindruckensten 14 Monate meines Lebens.
In ein paar Sätze fasse ich meine Eindrücke wie folgt
zusammen:
"Der 14-monatige Dienst an der Internationalen
Jugendbegegnungsstätte in Oœwiêcim/Auschwitz stellt für mich einen Zeitraum
dar, in dem ich unvergessliche Eindrücke gesammelt habe. Diese Eindrücke
beruhen auf Gespräche mit ehemaligen Häftlingen des KL-Auschwitz, auf Dialoge
mit Teilnehmer(n)/-innen der von mir betreuten Gruppen oder einfach auf die
unzähligen und erkenntnisreichen Diskussionen mit Arbeitskolleg(en)/-innen. Ich
bin mir sicher, dass ich mein ganzes Leben lang auf diese Erfahrungen
zurückgreifen kann und diese mich auch in meiner Denk- und Handlungsweise
geprägt haben."
Berlin Anne Frank Zentrum
Florian Druckenthaner
Die
Gedenkdienstzeit im Anne Frank Zentrum in Berlin hat mich in vielen Dingen
geprägt und meiner Lebensplanung Möglichkeiten eröffnet, die ich zuvor nicht in
Erwägung gezogen habe.
So habe ich diesen
Herbst mein Wunschstudium an der Uni-Potsdam aufgenommen und setze nebenbei
meine pädagogische Arbeit mit Jugendlichen fort, wodurch ich mich immer wieder
vor neue Herausforderungen gestellt fühle und einem ständigen
Sensibilisierungsprozess unterliege. Vergleichbare Erfahrungen hätte ich in
Wien nie sammeln können. Deshalb bin ich dem Verein Gedenkdienst sehr dankbar
für diese Chance und hoffe, dass auch in Zukunft viele junge Österreicher das
Potential eines solchen Freiwilligendienstes erkennen und ihn auch in Anspruch
nehmen können.
Budapest Ungarische Auschwitz Stiftung
Stefan Hameseder
Lieber Stefan!
Tut mir leid, dass ich auf meinen Bericht warten ließ,
aber ich bin zurzeit weiter in Budapest beschäftigt, studiere und arbeite in Wien.
Ich fand eben leider nicht die richtige Zeit und Muße zur Schilderung meiner
eindrücke.
Aber hier sind sie:
Für mich waren meine vierzehn Monate in Budapest eine
sehr bereichernde schöne, aber auch manchmal anstrengende Zeit, die ich sehr
genossen habe. So sehr, dass ich mich nicht wirklich von dieser mir schon bekannten(oberflächlich),
aufregenden, beeindruckenden und interessanten Krone des gesamten Donaugebietes
(zumindest dieses) nicht trennen kann.
Ich habe die
Aufgabe der mir relativ neuen, ungewohnten (bevorzuge als Bildhauer klarerweise
arbeit mit Augen und Händen, Geist und Seele anstatt dem "einfachen"
Sitzen vor einem PC), aber zum glück auch sehr interessanten Haupttätigkeit
(v.a. Korrespondenz & Lektorat) während meines Zivilersatzdienstes gut
gemeistert.
So habe ich aber
jetzt in meinem sozusagen zweitwohn- und Arbeitssitz im Zentrum von Budapest
die zeit die Inspiration dieses Ortes noch mehr aufsaugen und mich so ausgiebig
der Kunst (bildende & nun auch d. Poesie), der Kultur oder einfach nur der
Stadt und seinen Bewohnern hingeben - alleine oder mit freunden.
Ich kann daher
jedem, oder vielleicht doch besser nicht jedem empfehlen das bebende und
pochende herzen Europas aufzusuchen - es packt einen, lässt einen nicht mehr
los oder stößt einen komplett ab.
so das war’s! Schluss passt! ich denke das sollte
reichen.
Ich hoffe wir sehen uns alle spätestens bei dem
Auswahlseminar und wünsche dir alles Liebe und Gute!
Buenos Aires Fundación Memoria del Holocausto
Johannes Rumpfhuber
Hi Stefan...
hab noch immer kein I-net, aber mich plagt schon das
schlechte Gewissen... hmmm.... also ein
Bericht über meine Erfahrungen in BsAs....
"Meine Erfahrungen an der Fundacion Memoria del
Holocausto und in der "wirklichen" Großstadt Buenos Aires sind so
vielseitig, dass ich wahrscheinlich ein Buch über die dortigen Erfahrungen
schreiben könnte.
Immerhin ist - auch wenn sich die Argentinier selbst
gerne als die Europäer Lateinamerikas sehen - Buenos Aires eine Stadt in
Lateinamerika; spätestens seit der wirtschaftlichen Krise 2001 ist das auch den
Argentiniern bewusst.
Im Museum mangelt es seit dieser Zeit an allen Ecken und
Enden an Geld, selbst um manchmal die eigenen Angestellten zu bezahlen, was
unter den Arbeitskollegen oft Missmut zur Folge hat. Überhaupt ist der
wirtschaftliche Druck der Angestellten so stark, dass es so gut wie keine
Demokratie in den Betrieben (also auch an der Fundacion) geben muss - sie sind
auf den noch so kleinen Lohn angewiesen und müssen sich viel gefallen lassen. Die,
die nicht ins Konzept passen, werden ausgetauscht. Während meiner Zeit lernte
ich 6 neue Arbeitskollegen kennen - in einem Betrieb mit rund 12 Angestellten,
eine ganze Menge. Welch ein Glück zumindest nicht wirtschaftlich von einem
solchen Betrieb abhängig sein zu müssen.
Die Arbeit selbst war hingegen abwechslungsreich und
interessant. Angefangen von der Nachbearbeitung der Nationalfonds-Anträge,
Antragstellung für österreichische Pensionen, Recherche und Mitarbeit in der Bibliothek,
Kontaktpflege zu den österreichischen Emigranten, und sogar die Mithilfe bei
der Organisation einer Ausstellung gestalteten meinen Arbeitsalltag kurzweilig
und interessant.
Das Leben in der Grossstadt war auch eine prägende
Erfahrung:
Klebstoffschnüffelnden Straßenkinder "wohnten"
bei mir um die Ecke, die bekannt gewordenen Cartonneros durchwühlten meinen
Müll und so mancher meiner Freunde wurde beim Heimweg um einige Pesos von
dunklen Gestalten erleichtert. Nichtsdestotrotz ist Buenos Aires die
Kulturhauptstadt Südamerikas, mit vielen Theatern, Kinos, Kulturzentren, Museen
und schicken Bars.
Eine Welt der Gegensätze, die man besser als
Kurzzeiteinheimischer kennenlernt, dafür aber die Möglichkeit bietet, viel über
diese Welt zu lernen."
Dominik Aschauer
Lieber Stefan,
Entschuldige bitte meine verspätete antwort, ich hoffe es
hat dein Projekt - das ich natürlich gerne unterstütze - nicht verzögert habe!
Aber ich habe ja auch meinen Dienst erst letzte Woche beendet. Auch Gratulation
zur Wahl in den vorstand.
Über meinen Eindruck des Dienstes kann ich dir sagen,
dass ich im beruf begeistert war sowohl von der Effektivität mit der so ein
kleiner Personalstab wie im London Jewish Cultural Centre es schafft unzählbare
riesige Projekte durchzuführen (schildere jetzt nicht länger welche), als auch
von der Leidenschaft mit der "unsere" Zeitzeugen des Holocaust ihre
"Mission" der Schulgespräche verfolgen. ich muss auch sagen, dass ich
mir nie gedacht hätte, dass manche alte Leute (z.T. schon weit über 80) so
locker und "cool" sein können, erst recht, wenn sie so leiden
mussten.
Und privat kann ich dir nur sagen, dass ich mich - trotz
mancher Probleme - in London verliebt habe und ich es kaum erwarten kann
dorthin zurückzukehren. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es auf der ganzen
Welt so eine multikulturelle Stadt gibt in der die Menschen derart offen sind!
Vielleicht kannst du mir das Ergebnis zukommen lassen -
würde mich freuen.
Und ich hoffe wir können auch einmal Aug in Aug unsere
Erfahrungen austauschen.
New York Leo Baeck Institute
Christian Lerch
Hallo Stefan,
so weit ich es noch in Erinnerung habe, hat sich mein
Gedenkdienst am LBI dadurch ausgezeichnet, dass ich einerseits die Freiheit
gehabt habe in der Austrian Heritage Collection, neue Perspektiven und
Projekte, wie die Digitalisierung einzubringen und ich andererseits über die
lebensgeschichtlichen Interviews in Kontakt kam mit sehr vielen jüdischen EmmigrantInnen,
aus verschiedensten sozialen Schichten und somit auch der soziale Aspekt der
Stelle, mich ausgefüllt hat. Ansonsten kann ich zu der Stadt selbst sagen: ich
habe früh damit begonnen aufzuhören die Stadt als Ganzes kennenzulernen! Die
Stadt ist zu schnell, unglaublich vielschichtig und zu spannend und so bleiben
nur Teilaspekte von NYC nach einem 14monatigen Aufenthalt hängen, die jedoch
sind äusserst intensiv und werden auch weiter in mir sein.
Tel Aviv Anita Mueller Cohen Elternheim
Gerald Krammel
Hallo Stefan!!
Beeindruckt war ich von der Aufnahme, die extrem
freundlich war. Für die Bewohner ist es wirklich wichtig, dass jedes Jahr ein
Gedenkdiener kommt, mit dem sie sich über Österreich und über die Geschehnisse
der Vergangenheit unterhalten können.
Es haben sich einige tiefe Freundschaften entwickelt, die
ich weiterhin pflege.
Das Altenheim war wie ein zweites Zuhause für mich, und
durch die Einwohner, hatte ich nie das Gefühl einsam zu sein, bzw. hatte auch
keinerlei Schwierigkeiten bei der Eingewöhnung.
Ich durfte mit lebendiger Geschichte die Zeit verbringen
und es war lehrreicher als jedes Geschichtsbuch.
Es waren lehrreiche und bereichernde 14 Monate und ich
glaube ich konnte den Leuten eine schöne Zeit bereiten so wie sie mir eine schöne
zeit bereitet haben.
Ich hätte an dich auch noch eine Bitte:
Es wird immer nur eine Gedenkdienstzeitung ans Altenheim
geschickt und zwar ans Sekretariat, wo sie schlussendlich liegen bleibt.
Es wäre daher besser 4-5 Ausgaben ans Altenheim zu
schicken, die an bestimmte Personen adressiert sind, und die sie dann
untereinander tauschen.
Es wäre wirklich wichtig für die Leute persönlich
angesprochen zu werden.
Dies sind ein paar Namen, welche unbedingt eine Zeitung
erhalten sollten:
Hr. Avraham Kadima
Fr. Hull
Fr. Turbowitz.
Fr. Ben David
Fr. Raviv
Die Adresse hast du eh.
Ich wäre dir sehr verbunden, wenn dies möglich wäre.
Die Interviews die ich gemacht habe muss ich erst noch
bearbeiten aber ich hoffe, dass es dann kein Problem sein wird sie in die GD-Zeitung
zu geben.
Ach ja demnächst sollte ein Artikel über meine Arbeit in
den österreichischen Nachrichten erscheinen.
Theresienstadt-Jugendbegegnungsstätte Theresienstadt
Adam Markus
Mein Dienst an der Gedenkstätte Theresienstadt war einerseits
geprägt von Herzlichkeit und Freundschaft, andererseits blieben mir auch einige
Probleme mit Gedenkdienst nicht erspart. Ich habe gelernt, dass Engagement für
einen Anderen zwar Dank einbringt, aber wenn es darum geht dass man Hilfe
braucht ist keiner da. Auch habe ich gemerkt, dass die welche oft die
Demokratischsten sind wenn’s um eigene Interessen geht, ganz schnell über die
Köpfe der Anderen entscheiden. Dieses Jahr werde ich nie vergessen und es hat
mir für mein Leben viel gebracht. - Adam
Vilnius Jüdisches Museum
Johannes Langer
Meine 14 Monate werden mein Leben mitprägen - sowohl was
ich menschlich als auch inhaltlich lernen durfte. Es war eine unvergessliche
Zeit und wenn ich mich nochmals entscheiden könnte, würde ich sofort wieder ja dazu
sagen.
Viel Glück beim Verfassen!
LG, Joe
Wieder nach Wien zurückgekehrt sieht alles auf einmal so
anders aus, so verändert. Ich richte meine Aufmerksamkeit auf Dinge die ich
zuvor nicht wahrgenommen habe und beim Beobachten der Menschen in der U-Bahn
und auf den Straßen fällt mir eine ungewohnte Distanz auf. Was war passiert?
Hat sich das Stadtbild in der Zwischenzeit so sehr verändert? Oder war ich es?
Ich war sehr glücklich wieder zu Hause zu sein, und doch
empfand ich eine Veränderung die in mir Unbehagen auslöste, denn ich wusste
nicht genau was es ist.
Das Essen, besonders das Brot schmeckte mir so gut wie
nie zuvor und beim Spazieren blickte ich hinauf auf die Fassaden der schönen
Bauten, wo die an mir vorbeispazierenden Leute ihre Blicke streng nach Vorn
gerichtet hatten. Dann wurde mir erst bewusst, dass ich die Stadt von neuem für
mich entdeckte. Ich war nämlich aus dem Alltag hier herausgetreten und, wie ein
Hund der in die Wohnung des neunen Freundes von seinem Herrchen zum ersten Mal
hinein tritt, musste ich nun auch alles von neuem beschnuppern. Seltsam, dass
in etwas über einem Jahr, wo die Zeit in Washington doch so kurz erschien, sich
doch offensichtlich so viel ereignet hat, dass ich wieder zu mir finden muss.
Ich setzte mich in das Starbucks Cafe an der Ecke Kärntner Straße und Walfischgasse.
Gerade in diesem Kaffee, dessen Eröffnung für die traditionellen Wiener
Gastronomen wie ein Nadelstich unter der Gürtellinie wirkte. Ich nahm mir einen
großen Americano, obwohl ich in den USA nur Espresso bestellte, setzte mich in
einem Sessel und fing an mit Tränen in den Augen zu lachen. Die vielen Bilder
aus Eindrücken von meiner Gedenkdienstzeit liefen mir vor den Augen: die vielen
Freunde, die Reisen, die Arbeit,..... wie konnte ich nur so viel in dieser Zeit
erleben!
Es war eine große Erfahrung! Es war eine großartige
Erfahrung! Es war eine Erfahrung fürs Leben!
Von George Czuczka[29]
Die Leute sagen, es sei lästig, müßig, zu forschen und zu
stöbern. Man solle das Alte, Verjährte endlich ruhen lassen. Und doch. Auf
Dachböden, in Kellern steht und liegt es: verstecktes Sperrgut der verlorenen
Zeit, Abgelagertes, das entrümpelt werden muss, ans Tageslicht soll. Müll,
immer noch.
Geschichte schlägt Wurzeln, wie ein Baum. Was in die
Rinde geschnitten wird, bleibt bestehen, auf lange Sicht. Geschichte zu
leugnen, ad acta zu legen, ist Feigheit. Geschichte verlangt Stellungnahme,
Scharfsicht, Urteilskraft. Sie muss gegenwärtig sein, nötigenfalls auch
erlitten werden.
Denn: Es ist nun einmal das Los und die Aufgabe der
Nachkommen, für die Sünden ihrer Vorfahren einzustehen. Auch wenn sie nicht
dabei waren, als sie begangen wurden. Das Gesetz der Serie befiehlt es.
Gerade in der vermarkteten Welt von heute, in einer Zeit,
die vor uns flieht wie ein gehetztes Tier, liegt es an den spät Geborenen, die
Geschichte zu überprüfen, Familiengeheimnisse zu lüften, das Schweigen der
Greise zu durchbrechen, die sich noch heute an Schlachten und Siege erinnern;
nicht aber an Schimpf, Schande und böses Ende.
Soldaten wohnen auf den Kanonen. Friedfertigere Menschen
leben anderswo und bedienen sich anderer Mittel, um ihren Mut zu beweisen. Wer
sonst, wenn nicht die Nachgeborenen, Absolventen der hohen Schule der Menschen-
und Bürgerrechte, vermögen reinen Herzens die Trägheit des Gewissens zu
bezwingen.
In den Archiven lernen sie die Täter, Mitwisser und
Mitläufer kennen; in persönlichen Gesprächen, die stetig schwindende Zahl der
Überlebenden. Beim Vergleich der eigenen Überlieferung mit dem Schicksal
fremder Menschen stoßen sie auf ungeahnte Zusammenhänge. Im Umgang mit
Lebenden, Toten und lebenslänglich Traumatisierten lernen sie erneut Wert und
Würde des Menschen schätzen.
Ihre Hände reichen durch den Zaun, den Draht und
ergreifen die Hände derer, die längst den Weg in die Ewigkeit gegangen sind. Im
Geiste sind sie bei den Namenlosen, Heimatlosen, die klanglos verschwanden:
Kusine Stutthof, Vetter Birkenau. Tante Ravensbrück und Onkel Natzweiler.
Großmutter Terezin. Familiengeschichten aus den letzten Tagen der Menschheit;
zehntausende, allesamt einzigartig.
Die Wende ist spät gekommen, zu spät für die vielen, die
sie gerne erlebt hätten. Die Erinnerung, von Natur aus sprunghaft und
widerspenstig, hat sich einen Weg gebahnt. Auch wenn ihre Lagerfähigkeit
begrenzt ist, der Alltag sie vernutzt und neue Erinnerungen sie durchkreuzen
und verdrängen - sie ließ sich nicht länger abweisen.
Wenn lichte Augenblicke dieser Art sich auftun, wenn
geistige Potenz, politische Macht und Gemeinsinn miteinander übereinstimmen,
dann entsteht das ideale Klima für den Versuch, aufs Ganze zu gehen.
Die Wende selbst war jedoch kein Schlussstrich, sondern
erst ein Anfang; die vielleicht einmalige Gelegenheit, die Geschichte beim
Schopf zu packen und Gedenkdienst war die logische Folge zur rechten Zeit. Ein
Faden der Ariadne, der Gegenwart und Zukunft davor bewahrt, zu vergessen, wie
es kam, wie es war und da und dort noch heute ist.
Die neue, dritte Generation ist sich wohl bewusst, dass
Gedenkdienst jeglicher Art ureigenste Bürgerpflicht ist; ein Auftrag, der weit
über den Holocaust hinausreicht und nicht verjährt.
Sie hat auch erkannt, dass eine neue Gesinnung nottut,
die von keiner Ideologie erschüttert werden kann; eine neue Ethik der Treue zu
sich selbst und zum Nächsten, diesseits und jenseits aller Grenzen und
Schranken. Eine neue Ökologie, die nicht nur gefährdete Tierarten und zarte
Pflanzen beschützt, sondern einen Schutzwall um die Ausgegrenzten und
Verfolgten zieht und sich ihrer Sache annimmt.
Wenn sie mit Leib und Seele bei der Sache sind, können
selbst wenige Aktivisten den Anstoß geben. Keine großen Wunder vollbringen;
bestimmt nicht im Alleingang. Aber gemeinsam mit Anderen Türen öffnen, aus den
Angeln heben, Uhren richtig stellen, veraltetes Vokabular auffrischen und so
der Allgemeinheit helfen, das andere Ufer der Geschichte zu erreichen.
Die neue Ethik, gewachsen durch die Arbeit vieler quer
durch die Institutionen, ruft sie auf, das Erworbene weiterzugeben, so dass die
Morgigen und die Ungeborenen, von Schuld und Sühne befreit, unter günstigeren
Sternen leben sollen, als sie.
|
Stefan Stoev war auserwählter
Gedenkdienstleistender am Holocaust Memorial Museum in Washington 2004/2005.
Außerhalb seiner Forschungstätigkeit am Museum pflegte er intensiven Kontakt
zu deutschsprachige Vertriebene aus der Nazi Zeit. Soziales Engagement ist
für Stefan Stoev ein Anliegen von größter Bedeutung, dass er in seinen
alltäglichen Aufgaben selbst mehrseitig einbringt und unterstützt. |
[1] Christoph Meran
– Direktor des Österreichischen Presse- und Informationsdienstes
Österreichische Botschaft Washington
[2] Gedenkdienst-Historie
am USHMM: 1993/94 Anton Legerer; 1994/95 Thomas Ortner; 1995/96 Johannes Ungar;
1996/97 Helmut Prochart; 1998/99 Thomas Huber; 1999/00 Roman Kopetzky; 2000/01
Harald Schindler; 2001/02 Roland Engel; 2002/03 Paul Schiefer; 2003/04
Christoph Köttl; 2004/05 Stefan Stoev
[3] Pesach
– Pessach (hebräisch), Pascha (aramäisch, gesprochen Pas|cha) oder Passover (im
Englischen gennant) gehört zu den höchsten Festen des Judentums. Es erinnert an
den Auszug aus Ägypten, also an die Befreiung der Israeliten aus der Sklaverei,
mit der sie als eigenes Volk in die Geschichte eintraten. Für gläubige Juden
bedeutet dieses Ereignis zugleich die bleibende Erwählung des Judentums zum
„Volk Gottes".
Das
Pessachfest war traditionell mit Schawuot und Sukkot eins der drei traditionellen
israelitischen Wallfahrtsfeste, an denen die Gläubigen nach Jerusalem zum
Tempel auf dem Zionsberg pilgerten und dort das Passalamm opferten (Ex
12,3-11). Es wurde aber schon vor der endgültigen Zerstörung des Jerusalemer
Tempels im Jahre 70 n. Chr. als Hausfest im Kreis der ganzen Familie gefeiert.
Das
hebräische Wort pessach bedeutet wörtlich „vorüberschreiten",
„verschonen".
Der Name
spielt auf einen dramaturgischen Höhepunkt der biblischen Exodusüberlieferung
(Ex 1-15) an: die Erzählung vom Todesengel JHWHs, der in der Nacht des Auszugs
alle ägyptischen männlichen Erstgeborenen tötete und nur die Hebräer
verschonte, die die Türen ihrer Unterkünfte mit dem Blut des Pessachlammes
gekennzeichnet hatten (Ex 12). Diese letzte und schlimmste der zehn Plagen soll
den Pharao schließlich dazu bewegt haben, die Israeliten ziehen zu lassen.
(Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Pesah)
[4] Der Autor leistete seinen Gedenkdienst 2002/2003 am Anne Frank Zentrum
Berlin. Er arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für
Österreichisches und Europäisches Öffentliches Recht der WU Wien und ist seit
März 2004 Obmann des Vereins GEDENKDIENST.
[5] So der von Josef Teichmann gewählte Begriff in seinem gleichnamigen
Artikel für das Buch „Jenseits des Schlussstrichs“, das anlässlich des
10-jährigen Jubiläums des Vereins Gedenkdienst im Löcker Verlag erschienen ist,
2002, 81.
[6] Niko Wahl, Clubsessel für alle, in: Vom Großvater vertreiben vom Enkel
erforscht? Katalog zur gleichnamigen Ausstellung im Jüdischen Museum Wien,
2002, 16.
[7] Im Rahmen unsere Studienfahrt nach Kärnten auf den Spuren des
antifaschistischen Widerstands der Partisanen und den Wurzeln des
Volksgruppenkonflikts, sowie unserer Veranstaltungsreihe Ge-denken anlässlich
der Präsentation zweier Filme: Artikel 7 – Unser Recht! Von Thomas Korschil und
Eva Simmler, www.artikel7.at;
FAQ, von Stefan Hafner und Alexander Binder.
[8] USHMM – United States
Holocaust Memorial Museum
[9] Stand 16.06.2005
[10] Der berühmte Schauspieler und Regisseur Kurt Geron flüchtete vor den
Nazis aus Berlin nach Österreich und weiter über Frankreich nach Holland wo ihn
diese schließlich erwischten. Er wurde ins Ghetto Theresienstadt deportiert,
dort drehte er „Der Führer schenkt den Juden eine Stadt“. Geron wurde im
Oktober 1944 nach Auschwitz verschickt und ermordet.
[11] CAHS – Center for Advanced Holocaust Studies
[12] Vadim Altskan – Projekt Koordinator am IAPD das USHMM.
[13] Jürgen Matthäus ist Senior
Applied Research Scholar am Center for Advanced Holocaust Studies. Die hier vorgetragenen Ansichten sind die des Verfassers und spiegeln nicht
die Meinung des USHMM.
[14] Dirk Rupnow, Dr. phil., Historiker und Kulturwissenschaftler in Wien,
forschte 2004 als Fellow am Center for Advanced Holocaust Studies des US
Holocaust Memorial Museum. Zu seinen Veröffentlichungen zählen: Aporien des
Gedenkens. Historiographische Selbst-/Reflexionen über „Holocaust“ und
Erinnerung, Freiburg 2006; Vernichten und Erinnern. Spuren nationalsozialistischer
Gedächtnispolitik, Göttingen 2005; (mit Gabriele Anderl) Die „Zentralstelle für
jüdische Auswanderung“ als Beraubungsinstitution, München 2004;
Täter-Gedächtnis-Opfer. Das „Jüdische Zentralmuseum“ in Prag 1942–1945, Wien
2000. Daneben Aufsätze u.a. in „Holocaust and Genocide Studies“,
„Zeitgeschichte“, „Theresienstädter Studien und Dokumente“, „Modern Austrian
Literature“, „European Judaism“, „Dapim“.
[15] Voice of
http://www.voanews.com/mediaassets/english/2005_02/Audio/mp3/8-614_Focus_Hoke_Austria.mp3
[16] Der Beitrag wurde vom Gedenkdienstleistenden am USHMM 05/06 Christian Url
verfasst.
[17] Beitrag von Christian Url
[18] Dieser Artikel wunder in der Zeitung Gedenkdiest (No. 2/2005) und in den
Jewish News from Austria (#13 – Dezember 2005) publiziert.
[19] Beitrag von Christian Url
[20] Dieser Artikel ist in der Zeitung Gedenkdiest (No. 3/2005) veröffentlicht
worden.
[21] Als Mazzen (Matzah, Mazzoth, Matze(n)) werden koschere, flache,
ungesäuerte Brotfladen der jüdischen Küche bezeichnet, die aus Wasser und einer
der fünf Getreidesorten - Weizen, Roggen, Gerste, Hafer, Dinkel - gebacken
werden. Um koscher für Pessach zu sein, unterliegt die Herstellung der Matzen
strenger rabbinischer Aufsicht. Jeder verfrühte Kontakt des geernteten
Getreides oder des Mehls mit Wasser oder einem anderen Säuerungsmittel muss
vermieden werden. Der Backprozess, vom Mischen des Mehls mit Wasser bis zum
fertig gebackenen Matze darf nicht länger als 18 Minuten dauern.
Matzen werden
in der Pessach-Woche von Juden zur Erinnerung an die Befreiung aus Ägypten
verspeist. Weil, so wird tradiert, beim Aufbruch keine Zeit blieb, den Teig für
die Brote gehen zu lassen.
Da während
der Pessach-Woche weder gesäuertes Brot noch irgendetwas, das gehen könnte
(also Pasta, Mehl, bei den Aschkenasim auch Hülsenfrüchte und Reis) verspeist
werden darf, werden aus Matzen oder Matzenmehl auch Kuchen, Aufläufe und
ähnliches gebacken. Orthodoxe Juden legen das Gebot des Verzichts auf
"getriebenes" Brot so streng aus, dass während des Pessachfestes kein
Geschirr verwendet werden darf, das je mit einem mit Treibmittel hergestelltem
Brot in Berührung gekommen ist. In vielen orthodoxen Haushalten gibt es daher
ein spezielles Pessachfest-Geschirr, bescheidenere Haushalte behelfen sich,
indem alle Töpfe, Teller und Bestecke durch langes Auskochen rituell gereinigt
werden.
Das Gebot
Matze zu essen besteht allerdings nur für den Seder-Abend (für den Rest der
Woche gilt nur: kein Chametz, also nichts Gesäuertes essen) Am Seder-Abend
gehören drei besondere Matze - üblicherweise handgebacken und dicker als
gewöhnliche Matzen - auf den Tisch: die oberste Matze symbolisiert die Cohen
(die Tempel-Priester), die mittlere die Levi (die Tempel-Diener) und die
unterste schließlich Jisrael, das Volk der Juden. Jeder dieser drei
Matze-Fladen ist von den anderen durch ein Tuch getrennt. Während des
Seder-Abends werden sie symbolisch eingesetzt. Jedem Juden ist es geboten, ein
Stückchen dieser Matze zu verzehren. (Quelle:
http://de.wikipedia.org/wiki/Mazza)
[22] Kibbuz – oder auch Kibbutz geschrieben (Plural: kibbutzim). Als Kibbuzim
(קיבוצים) (pl.) bezeichnet man
ländliche Kollektivsiedlungen in Israel mit gemeinsamem Eigentum und
basisdemokratischen Strukturen. Es gibt etwa 270 dieser Dörfer mit einer Größe
von bis zu 1.000 Einwohnern. Zu Neugründungen kommt es heute kaum mehr. Zur
Zeit der Gründung des Staates Israel lebte etwa jeder zwölfte Israeli in einem
Kibbuz; heute sind es knapp drei Prozent der Bevölkerung. Es gab zwar auch
Abwanderung, besonders der Jugend, die aber durch Zuwanderung beispielsweise
aus den USA aufgefangen werden konnte. Weitere landwirtschaftliche
Siedlungsformen sind die zahlreicheren (etwa 400) Moschawim, die
genossenschaftlich organisiert sind, sowie Mischformen aus Kibbuz und Moschaw.
Eine weitere Form sind schließlich die (deutlich weniger als 100) Moschawot,
die mit europäischen Dörfern vergleichbar sind. Die Mitglieder eines Kibbuz
bezeichnet man als Chawerim (Einzahl Chawer) oder auch als Kibbuznik. Im
Zusammenhang mit den Kibbuzim werden häufig die Begriffe Kommunismus oder
Sozialismus verwendet. Diese Lehren dürfen dabei aber nicht mit dem
Realsozialismus des ehemaligen Ostblocks gleichgesetzt werden. So können die
Kibbuzim durchaus mit Sozialismus im ursprünglichen Sinn in Verbindung gebracht
werden – während vergleichbare Organisationsformen in den realsozialistischen
Staaten des ehemaligen Ostblocks oft nicht mehr auf Freiwilligkeit basierten.
(Quelle:
http://de.wikipedia.org/wiki/Kibbuz)
Division |
Konzentrationslager |
Datum |
1-ste
Infanterie |
Falkenau an
der Eger (Nebenlager
von Flossenbürg) |
7. Mai 1945 |
2-te
Infanterie |
Leipzig-Schönfeld
(Nebenlager von Buchenwald) Spergau
(Lernarbeitslager) |
17. April
1945 |
4-te
Infanterie |
Dachau
Nebenlager |
28-29.
April 1945 |
8-te
Infanterie |
Wöbbelin
(Nebenlager von Neuengamme) |
3. Mai 1945 |
26-ste
Infanterie |
Gusen
(Nebenlager von Mauthausen) |
6. Mai 1945 |
29-ste
Infanterie |
Dinslaken
(Zivilarbeitslager) |
3. April
1945 |
36-ste
Infanterie |
Kaufering
Lager (Nebenlager von Dachau) |
30. April
1945 |
42-ste
Infanterie |
Dachau |
29. April
1945 |
45-ste
Infanterie |
Dachau |
29. April
1945 |
63-ste
Infanterie |
Kaufering
Lager (Nebenlager von Dachau) |
29-30.
April 1945 |
65-ste
Infanterie |
Nebenlager
von Flossenbürg |
20-21.
April 1945 |
69-ste
Infanterie |
Leipzig-Thekla (Nebenlager
von Buchenwald) |
19. April
1945 |
71-ste
Infanterie |
Gunskirchen (Nebenlager
von Mauthausen) |
5-6. Mai
1945 |
80-ste
Infanterie |
Buchenwald Ebensee (Nebenlager
von Mauthausen) |
12. April
1945 4-5. Mai
1945 |
83-ste
Infanterie |
Langenstein |
11. April
1945 |
84-ste
Infanterie |
Ahlem Salzwedel (Nebenlager
von Neuengamme) |
10. April
1945 14. April
1945 |
86-ste
Infanterie |
Attendorn |
11. April
1945 |
89-ste
Infanterie |
Ohrdruf
(Nebenlager von Buchenwald) |
4. April
1945 |
90-ste
Infanterie |
Flossenbürg |
23. April
1945 |
95-ste
Infanterie |
Werl (Gefängnis
und Arbeitslager) |
2-8. April
1945 |
99-ste
Infanterie |
Nebenlager
von Dachau |
3-4. Mai
1945 |
103-te
Infanterie |
Landsberg
(Nebenlager von Dachau) |
27. April
1945 |
104-te
Infanterie |
Dora-Mittelbau |
11. April
1945 |
3-te Panzer |
Dora-Mittelbau |
11. April
1945 |
4-te Panzer |
Ohrdruf
(Nebenlager von Buchenwald) |
4. April
1945 |
6-te Panzer |
Buchenwald |
11. April
1945 |
8-te Panzer |
Halberstadt-Zwieberge (Nebenlager
von Buchenwald) |
12-17.
April 1945 |
9-te Panzer |
Falkenau an
der Eger (Nebenlager
von Flossenbürg) |
7. Mai 1945 |
10-te
Panzer |
Landsberg
(Nebenlager von Dachau) |
27. April
1945 |
11-te
Panzer |
Gusen
(Nebenlager von Mauthausen) Mauthausen |
5. Mai 1945 6. Mai 1945 |
12-te
Panzer |
Landsberg (Nebenlager
von Dachau) |
27. April
1945 |
14-te
Panzer |
Nebenlager
von Dachau |
2-3. Mai
1945 |
20-ste
Panzer |
Dachau |
29. April
1945 |
82-ste
Luftwaffe |
Wöbbelin
(Nebenlager von Neuengamme) |
3. Mai 1945 |
101-ste
Luftwaffe |
Landsberg (Nebenlager
von Dachau) |
28. April
1945 |
[24] Wahlkandidaten: George W.
Bush-Republikanische Partei-Texas; John F. Kerry -Demokratische
Partei-Massachusetts; John R. Edwards-Demokratische Partei-North Carolina;Ralph
Nader-Unabhängig, Reformß-Connecticut; Michael Badnarik-Freicheitliche
Partei-Texas; Michael Peroutka-Konstitutions Partei-Maryland; David Cobb-Grüne
Partei-Kalifornien
[25] Quelle: http://en.wikipedia.org/wiki/U.S._presidential_election,_2004
[26] Gedendienstleistender am USHMM 2003/2004
[27] Gedenkdienstleistender am USHMM 2001/2002
[28] Anton Legerer, Psychologe, Historiker, Publizist in Wien.
Gedenkdienstleistender 1993/94 in der Forschungsabteilung des U.S. Holocaust
Memorial Museums in Washington, D.C.
[29] George Czuczka, ein gebürtiger Wiener, wanderte 1939 als Gymnasiast mit
seinen Eltern nach Amerika aus. Im zweiten Weltkrieg diente er in der U.S.
Armee und trat nach vollendetem Studium in den diplomatischen Dienst ein, war
in Europa und Asien tätig, u.a. als Presseattaché an der amerikanischen
Botschaft in Wien.
Er lebt seit
Jahren in Washington und ist Autor einer Sammlung sozialwissenschaftlicher
Texte von Papst Johannes Paul II und einer Studie über die Bedeutung der
Psychologie von C. G. Jung für die Politik.